Leitsatz (amtlich)

1. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die EG-Typgenehmigung eines Dieselfahrzeugs durch eine Täuschung erschlichen wurde und daher eine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers vorliegt, folgen nicht aus:

- der bloßen Programmierung eines "Thermofensters" oder einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung ohne Hinzutreten weiterer Umstände;

- zu anderen Motortypen des Herstellers veröffentlichten Gutachten und Stellungnahmen sowie Rückrufen durch das KBA;

- der Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs lediglich von einer "freiwilligen Servicemaßnahme";

- dem Umstand, dass das Abgasregelsystem des Motors über unterschiedliche effektive Betriebsmodi verfügt.

2. Die Normen der EG-RL 2007/46 und 715/2007 sowie die Vorschriften der EG/FGV bezwecken nicht den Schutz der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Käufers, sondern lediglich den Schutz gegen eine Nutzungsuntersagung.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Aktenzeichen 2 O 374/22)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der auf Dienstag, den 16.05.2023 bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung wird aufgehoben.

4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Verfahren auf 13.063,90 EUR festzusetzen.

 

Gründe

I. Der Kläger erwarb am 26.02.2018 von der S... GmbH & Co. KG ein Gebrauchtfahrzeug Mercedes Benz, E 250 BlueTEC 4MATIC T-Model mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ... zum Kaufpreis von insgesamt 34.900,00 Euro (brutto) mit einem Kilometerstand bei Übergabe von 6.000 km. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 sowie einem SCR-Katalysator ausgestattet und für die Abgasnorm Euro 6 zugelassen. Der Motor hat eine Abgasrückführung (im Folgenden AGR), die von der Motorsoftware (u.a. temperaturabhängig) gesteuert wird (sog. Thermofenster). In dem Kühlwassersystem des Motors ist ein Thermostat zur Regulierung der Kühlwassertemperatur eingebaut. Das Fahrzeug des Klägers ist nicht von einem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) betroffen. Die Beklagte bietet eine freiwillige Kundendienstmaßnahme in Form eines Software-Updates an, das bei dem klägerischen Fahrzeug bereits aufgespielt wurde. Den Erwerb des Fahrzeugs finanzierte der Kläger über einen Darlehensvertrag mit der Mercedes Benz Bank zur Vertragsnummer ... über einen Gesamtkreditbetrag von 24.900,00 Euro zuzüglich Zinsen. Als Vertragsende des Darlehensvertrages war der 06.03.2023 ausgewiesen. Der Kläger ist nicht mehr im Besitz des Fahrzeuges. Unter dem 01.07.2021 hat er es zu einem Kaufpreis von 19.000,00 Euro bei einem Kilometerstand von 47.000 km weiterveräußert.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen und begehrt die Zahlung von 14.571,68 EUR. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

II. Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

1. Einer Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB im Hinblick auf das unstreitig vorhandene Thermofenster sowie die ebenfalls unstreitig gegebene Abhängigkeit der Abgasrückführung (AGR) von der Drehzahl steht entgegen, dass keine Anhaltspunkte vorhanden sind, dass die EG-Typgenehmigung durch eine Täuschung erschlichen worden ist. Zur Begründung wird auf die Ausführungen des Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 27. Juni 2022 - 7 U 44/22 -, Rn. 220 - 33, juris Bezug genommen, in dem Folgendes ausgeführt wird:

Die "Thermofenster-Problematik" ist mittlerweile von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt (vgl. BGH Beschluss vom 29.09.2021,VII ZR 223/20; BGH, Beschluss vom 29.09.2021, VII ZR 126/21; BGH, Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 50/21). Hinsichtlich der von der Außentemperatur abhängigen Steuerung der Abgasrückführung ("Thermofenster") setzt die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 19). Für ein solches Vorstellungsbild liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Es fehlt auch am subjektiven Schädigungsvorsatz i.S.v. § 826 BGB. Die Beklagte hat d...

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