Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriterien und Maßstäbe für die Abänderung einer gerichtlichen Erstentscheidung über die Übertragung der Alleinsorge
Leitsatz (amtlich)
Zum Abänderungsmaßstab bei einer gerichtlichen Erstentscheidung über die Übertragung der Alleinsorge.
Normenkette
BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
AG Aue (Beschluss vom 16.06.2009; Aktenzeichen 1 F 136/09) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Aue vom 16.6.2009 aufgehoben und der Antrag des Antragstellers auf Änderung der Sorgerechtsentscheidung vom 19.3.2008 zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Parteien sind die Eltern des am xxxxx. 2002 geborenen Kindes ... Ihre Ehe ist durch Urteil des AG - Familiengericht - Aue vom ... geschieden worden. Gleichzeitig ist - unter Ziff. 2 des Tenors - das alleinige elterliche Sorgerecht auf die Antragsgegnerin übertragen worden, nachdem der Antragsteller bereits im Januar 2007 mit unbekanntem Ziel nach Spanien verzogen war.
Nach Rückkehr des Antragstellers im Februar 2009 hat das AG - Familiengericht - Aue auf dessen Antrag mit Beschluss vom 16.6.2009, auf welchen wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, die Sorgerechtsentscheidung dahingehend abgeändert, dass die Parteien die elterliche Sorge nunmehr gemeinsam ausüben mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts, dass der Antragsgegnerin alleine zusteht, soweit sie nicht mit dem Kind die Bundesrepublik Deutschland verlassen will.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie die Zurückweisung des Änderungsantrages des Antragstellers erstrebt. Sie macht u.a. geltend, dass die
Rückkehr des Antragstellers nach Deutschland kein triftiger Grund i.S. des § 1696 BGB sei. Zwischen den Parteien bestehe zudem keine ausreichende Kommunikationsbasis. Sie habe aufgrund der in der Vergangenheit erlittenen Gewalt Angst vor dem Antragsteller.
Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen.
Der Senat hat die Eltern und das Kind angehört. Das Jugendamt wurde beteiligt.
II. Die zulässige befristete Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache Erfolg. Es liegen keine Gründe vor, die nach der Entscheidung des Familiengerichts im Scheidungsurteil vom ... der Antragsgegnerin allein zustehende elterliche Sorge für das gemeinsame Kind xxxxxxx neu zu regeln.
Bei der von dem Senat zu treffenden Entscheidung richtet sich der Abänderungsmaßstab nach § 1696 Abs. 1 BGB. Diese Norm wird entgegen der Ansicht des Familiengerichts lediglich dann durch die - einen eigenen Abänderungsmaßstab enthaltende - Vorschrift des § 1671 BGB als lex speciales verdrängt, wenn Gegenstand der richterlichen Entscheidung die Beendigung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist (vgl. OLG Hamm FamRZ 2007, 756, 757; Staudinger/Coester [2006], § 1696 Rz. 16). Ist dagegen die elterliche Sorge, wie vorliegend, nur einem Elternteil übertragen und beantragt der andere Elternteil die Begründung der gemeinsamen elterlichen Sorge, gilt für die Abänderung der Maßstab des § 1696 BGB (vgl. OLG Braunschweig FamRZ 2002, 121, 122; OLG Jena FamRZ 2001, 436; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 1605 [1606]; Johannsen/Henrich/Büte, Eherecht, 4. Aufl., § 1696 Rz. 17; Schwab, FamRZ 1998, 457, 471).
Nach § 1696 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht seine Anordnungen zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des
Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Dieser Maßstab ist strenger als die an anderen Stellen, wie etwa in §§ 1671 Abs. 2 Nr. 2, 1672 Abs. 1 Satz 2 BGB, vorgesehene Prüfung, ob eine bestimmte gerichtliche Maßnahme dem Wohle des Kindes dient oder am besten entspricht. Die Vorteile der Neuregelung müssen vielmehr die mit der Abänderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegen (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O.; Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Aufl., § 1696 Rz. 15; Staudinger/Coester, a.a.O., § 1696 Rz. 66; Johannsen/Henrich/Büte, a.a.O.). Diese strengen Voraussetzungen dienen dem Gesichtspunkt der Erziehungskontinuität; jede Änderung soll an dem generellen Bedürfnis jedes Kindes nach Kontinuität und Stabilität seiner Lebensund Erziehungsbedingungen gemessen werden. Eine einmal getroffene Sorgerechtsentscheidung soll nicht beliebig wieder aufgerollt werden können (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).
Dabei indiziert der rechtspolitische Stellenwert des gemeinsamen Sorgerechts allein noch nicht das Vorliegen "triftiger Gründe" für eine Änderung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn, wie hier, zwischen den Eltern kein Einvernehmen über die gemeinsame elterliche Sorge besteht (vgl. Staudin-ger/Coester, a.a.O., § 1696 Rz. 66). Ebenso wenig kann aus der Vorschrift des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein RegelAusnahme-Verhältnis i. S. einer Priorität zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge hergeleitet werden. Es besteht keine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist (vgl. BGH FamRZ 2008, 592; BGH FamRZ 1999, 1646 [1647]; vgl. auch BVerfG, FamRZ 2004,...