Leitsatz (amtlich)
1. Der von dem Angehörigen eines Patienten mitgeteilten Absicht, in einem "offenem Brief" auf Missstände in einem Krankenhaus hinzuweisen und für dessen "Boykott" zu werben, kann nicht mit einer vorbeugenden Unterlassungsklage begegnet werden, wenn der Wortlaut dieses Briefes nicht bekannt ist.
2. Die Bewertung einer Behandlung als "unmenschlich" stellt für sich genommen noch keine Schmähkritik der Krankenhausverantwortlichen dar.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Beschluss vom 10.09.2008; Aktenzeichen 8-O-2922/08) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des LG Leipzig vom 10.9.2008 - 8 O 2922/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt, dem Antragsgegner durch einstweilige Verfügung zu untersagen, deren Behandlung seiner Schwester im Jahre 2004 in einem "offenen Brief" an verschiedene Botschaften und Kliniken im arabischen Raum zu schildern und ihnen zu empfehlen, künftig davon abzusehen, Patienten an die Klinik der Antragstellerin zu überweisen.
Das LG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Der Beschluss ist der Antragstellerin am 16.9.2008 zugestellt worden. Mit der am 30.9.2008 eingegangenen sofortigen Beschwerde hält sie ihren Antrag aufrecht und vertritt die Auffassung, eine einstweilige Verfügung sei wegen der Befürchtung gerechtfertigt, dass der Antragsgegner eine verzerrte und teilweise unwahre Sachdarstellung in den "offenen Brief" aufnehmen werde, was schwere wirtschaftliche Nachteile für sie haben könne. Die Bezeichnung ihrer Einrichtung als "unmenschlich" stelle eine Schmähkritik dar, die sie nicht hinzunehmen habe. Die Meinungsfreiheit des Antragsgegners habe zurückzutreten. Er habe durch die Erstellung einer Homepage zur Eskalation beigetragen und keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Entschuldigung ihres kaufmännischen Vorstands. Darin liege zugleich der Versuch einer Nötigung i.S.d. § 240 StGB.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die auf Unterlassung der inkriminierten Äußerungen gerichteten Verfügungsansprüche bestehen nicht. Wie das LG zutreffend ausgeführt hat, hat die Antragstellerin die hinreichend konkrete Gefahr einer zukünftigen Rechtsbeeinträchtigung durch rechtswidrige Aufstellung unwahrer Tatsachenbehauptungen nicht glaubhaft gemacht.
1. Es ist allgemein anerkannt, dass für einen Unterlassungsanspruch trotz des Wortlautes des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB ("weitere") auch eine erstmals ernsthaft drohende Beeinträchtigung genügt (vgl. BGH NJW 2004, 3101). Hierfür reicht indes die bloße Befürchtung oder die Möglichkeit einer Rechtsbeeinträchtigung nicht aus. Für die Erstbegehungsgefahr streitet - anders als für die Wiederholungsgefahr - keine Vermutung (OLG Hamm NJW-RR 1995, 1399). Sie muss jeweils anhand der Umstände des Einzelfalls positiv festgestellt werden (vgl. BGH NJW 1987, 2225) und wird nur im Ausnahmefall anzunehmen sein (Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl. 2008, Rz. 805; BGH NJW 1975, 1882). Es sind nicht nur die Schwere des Eingriffs und die Umstände der Verletzungshandlung, sondern auch die Motivation des Verletzers und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines drohenden Eingriffs sowie die entgegenstehende Meinungsfreiheit des Äußernden zu berücksichtigen. Die bloße Aussicht, dass es zu einer Veröffentlichung kommen wird, begründet erst dann eine Begehungsgefahr, wenn diese im Entwurf vorgelegt oder glaubhaft gemacht werden kann, welche tatsächlichen Angaben sie im Einzelnen enthält (Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. Kap. 12 Rz. 35).
2. Vorliegend ist aufgrund des Schreibens des Antragsgegners vom 1.7.2008 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dieser sich - wie er dort ankündigt - in einem "offenen Brief" an die Botschaften verschiedener arabischer Staaten wenden wird, in dem die Umstände der Behandlung seiner Schwester im Klinikum der Antragstellerin geschildert werden sollen. An keiner Stelle hat der Antragsgegner indes angekündigt, sich in gleicher Weise auch an Krankenhäuser im arabischen Raum, wie sie in Ziff. 1 des Verfügungsantrages bezeichnet werden, zu wenden. Eine Erstbegehungsgefahr in Bezug auf die Veröffentlichung gegenüber diesen Einrichtungen wird hieraus nicht ersichtlich. Ob sich aus dem Inhalt der vom Antragsgegner betriebenen Homepage Umstände ergeben, die gleichwohl die ernsthafte Gefahr begründen, dass sich der Antragsgegner über den Kreis von Botschaften hinaus auch gegenüber weiteren Dritten in vergleichbarer Weise in "offenen Briefen" äußern will, kann dahinstehen. Die Antragstellerin hat nämlich nicht glaubhaft gemacht, dass durch einen solchen offenen Brief in ihre grundrechtlich geschützten Rechtspositionen, namentlich ihr Unternehmerpersönlichkeitsrecht oder ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen würd...