Leitsatz (amtlich)
Einer Adoption steht nicht entgegen, dass die leibliche Mutter den möglichen leiblichen Vater dem Gericht nicht offenbart, wenn sie zumindest eine erhebliche Verletzung ihrer körperlichen Unversehrtheit ernsthaft befürchten muss. In diesem Fall ist die Einwilligung des möglichen leiblichen Vaters in entsprechender Anwendung des § 1747 Abs. 4 Satz 1 BGB entbehrlich.
Verfahrensgang
AG Freiberg (Aktenzeichen 1 F 395/18) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Annehmenden wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Freiberg vom 30. April 2020 abgeändert:
Das am xx.xx.2018 geborene Kind H ... K ... (Geburtsregister Nr. G xxx/2018 des Standesamtes F ...) wird von den in der Adoptionsbewerberliste des Jugendamtes beim Landratsamt ... unter Nr. xx/2017 geführten Eheleuten S ... R ..., geb. am xx.xx.1975 (Geburtsregister Nr. xxx/1975 des Standesamtes L ...), und R ... R ..., geb. am xx.xx.1971 (Geburtsregister Nr. xxx/1971 des Standesamtes F ...), als Kind angenommen.
Die Angenommene erhält als Geburtsnamen den Namen R ... sowie den Vornamen L ... H ...
2. Das Verfahren erster Instanz und das Beschwerdeverfahren sind gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden in beiden Instanzen nicht erstattet.
Gründe
I. Mit notarieller Urkunde vom xx.xx.2018 hat die Mutter des anzunehmenden minderjährigen Kindes H ... K ... die Einwilligung zur Adoption ihres Kindes durch die in der Adoptionsbewerberliste des Jugendamtes beim Landratsamt Mittelsachsen unter Nr. xx/2017 genannten Personen bewilligt. Hierbei handelt es sich um die Eheleute S ... und R ... R ... (Beteiligte zu 2) und 3)). Das am xx.xx.2018 geborene Kind H ... K ... befindet sich seit dem 09.05.2018 bei ihnen zur Pflege.
Die Beteiligten zu 2) und 3) haben mit notarieller Urkunde vom xx.xx.2019 die Annahme des Kindes sowie die Änderung seines Vornamens in "L ... H ..." beantragt. In derselben Urkunde hat der Amtsvormund des Kindes in die Adoption und die Änderung des Vornamens eingewilligt. Eine Zustimmungserklärung des leiblichen Vaters liegt nicht vor. Die Mutter des Kindes hat erklärt, dass ihr Namen und Aufenthaltsort des leiblichen Vaters bekannt seien. Sie hat sich jedoch geweigert, die Person des Vaters zu benennen.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Freiberg hat mit Beschluss vom 30.04.2020 den Adoptionsantrag mangels Zustimmung des leiblichen Vaters zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3), mit der sie ihren Adoptionsantrag weiterverfolgen.
II. Die zulässige Beschwerde gegen den die Adoption versagenden Beschluss des Familiengerichts ist begründet.
Die Annahme des minderjährigen Kindes beruht auf §§ 1741 Abs. 2 Satz 2, 1747 Abs. 4 Abs. 1 Satz 1, 1754, 1755 Abs. 1 BGB.
1. Die formellen Voraussetzungen der Annahme des Kindes liegen vor, insbesondere die formgerechte und notariell beurkundeten Einwilligungserklärungen des Kindes durch dessen Amtsvormund (§ 1746 Abs. 1 BGB) und seiner leiblichen Mutter (§ 1747 Abs. 1 BGB) und der entsprechende Antrag der Annehmenden (§ 1752 Abs. 1 BGB). Auch im Hinblick auf die persönlichen Voraussetzungen der Annehmenden (§§ 1741 Abs. 2, 1743 BGB) ergeben sich keine Bedenken.
2. Der Adoption steht nicht entgegen, dass der mögliche leibliche Vater (Vaterschaftsprätendent) nicht am Adoptionsverfahren beteiligt worden ist und es daher an seiner Einwilligung in die Annahme des Kindes (§ 1747 Abs. 1 Satz 2 BGB) fehlt.
Allerdings schützt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG den leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater in seinem Interesse, die Rechtsstellung als Vater des Kindes einzunehmen (vgl. BVerfG, FamRZ 2013, 521, 524; FamRZ 2003, 816, 818; Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl., Art. 6, Rn. 46). Zu diesem Zweck ist es grundsätzlich notwendig, ihn von dem Adoptionsverfahren zu benachrichtigen. Hierauf kann nicht schon deshalb gemäß § 1747 Abs. 4 Satz 1 BGB verzichtet werden, wenn der leiblichen Mutter, wie im vorliegenden Fall, die Identität und der Aufenthalt des möglichen Vaters bekannt sind, sie sich aber weigert, die Person des Vaters zu benennen (vgl. BGH, FamRZ 2015, 828, 831). Eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 1747 Abs. 4 Satz 1 BGB kommt jedoch in Betracht, wenn im Rahmen einer Güterabwägung das Interesse der Mutter an der Verheimlichung des Vaters dessen Interesse an einer Beteiligung am Adoptionsverfahren überwiegt, weil andernfalls eine Verletzung ihres Rechts auf Leben oder körperliche Unversehrtheit zu erwarten ist (vgl. Heilmann/Braun, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 2. Aufl., § 1747 BGB Rn. 22; NK-BGB/Dahm, 2. Aufl., § 1747 Rn. 32; Staudinger/Helms [2019], § 1747 Rn. 77; Erman/Saar, BGB, 15. Aufl., § 1747 Rn. 14; Soergel/Liermann, BGB, 13. Aufl., § 1747 Rn. 32; siehe auch BAGLJÄ, Empfehlungen zur Adoptionsvermittlung, 7. Aufl., Nr. 10.3.2). Entgegen der Ansicht des Familiengerichts ist ein solcher Ausnahmefall hier zur Überzeugung des Senats gegeben.
Der Senat hat die leibliche Mutter des minderjährigen Kindes persönlich angehört und sie eingehend zu den Bewegg...