Leitsatz (amtlich)
1. Auch dann, wenn der Störer die Beweislast für die Wahrheit einer das Persönlichkeitsrecht verletzenden Behauptung trägt, kann den Verletzen eine sekundäre Darlegungslast treffen, sich zu den zugrundeliegenden tatsächlichen Umständen zu erklären.
2. Ein gewerblich tätiges Unternehmen muss den Vorwurf der "Abzocke", der nicht mit bewusst unwahren Tatsachbehauptungen unterfüttert ist, in der Regel hinnehmen.
3. Ob außerhalb des Bereichs der "klassischen" Verdachtsberichterstattung die Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen geboten ist, kann offenbleiben. Ihr Fehlen ist jedenfalls dann unschädlich, wenn der Betroffene im Prozess seiner sekundären Darlegungslast nicht genügt und infolgedessen von der Wahrheit der in der Presse verbreiteten Behauptung auszugehen ist.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 3 O 2594/19) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 6.4.2021 wird aufgehoben.
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 25.000,- EUR festzusetzen.
Gründe
I. Die Klägerin vertreibt nach eigener Darstellung Smartcards sowie Club-Mitgliedschaften für den Handel mit Rabatten, Gutscheinen und Vorteilen, insbesondere der Teilnahme an Gewinnspielen. Die Beklagte produziert das Programm des Fernsehsenders "F..." und ist auch für dessen Internetauftritt verantwortlich. Sie veröffentlichte am 22.10.2019 den streitgegenständlichen Beitrag. Unter der Überschrift "Rentnerin abgezockt" wird dort der Fall der "72-jährigen Chemnitzerin G. L." geschildert, die als "eine von vielen" von der Klägerin "eiskalt abgezockt" und "hinters Licht geführt wurde". Der Beitrag selbst wurde im Anschluss an eine Abmahnung der Klägerin entfernt, ohne dass die Beklagte jedoch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hätte. Die Klägerin hat erstinstanzlich die im Urteil des Landgerichts wiedergegebenen Äußerungen aus dem streitgegenständlichen Beitrag beanstandet und deren Unterlassung begehrt, weil es sich hierbei um unwahre Tatsachenbehauptungen handele. Beim Durchschnittsleser werde durch die Verquickung unterschiedlicher Sachverhalte der Eindruck erweckt, dass die Klägerin "Hundefutter-Abos" im Internet vertreibe und ohne rechtliche Grundlage von der dort aufgeführten Rentnerin Gelder eingezogen habe und diese durch eine "Abofalle" betrogen habe. Tatsächlich habe die Klägerin aber eine Leistung aufgrund eines wirksamen Vertrages erbracht.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Bei den beanstandeten Begriffen "eiskalt abgezockt" und "hinters Licht geführt" handele es sich um Werturteile, die einen hinreichenden Sachbezug aufwiesen und daher nicht als Schmähkritik eingestuft werden könnten. Gleiches gelte für die Aussage, die Kundin sei von Mitarbeitern der Klägerin "unter Druck gesetzt" worden. Die Klägerin habe es nämlich versäumt, den von ihr behaupteten Vertragsschluss mit der Kundin durch Vorlage geeigneter Unterlagen zu substantiieren. Eine Behauptung, dass die Kundin bei der Klägerin Hundefutter bestellt habe oder die Klägerin mit der Website "Abo-Alarm" zusammenarbeite, sei dem Artikel nicht zu entnehmen, ein solcher Eindruck werde auch nicht zwischen den Zeilen erweckt. In diesem Zusammenhang sei unerheblich, wie das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der Kundin beendet worden sei, weil jedenfalls unstreitig sei, dass die Klägerin bis Juni 2019 monatliche Beiträge in Höhe von 29,99 EUR von deren Konto habe einziehen lassen. Die Beklagte habe in Wahrnehmung berechtigter Interessen über ein Ereignis von lokaler Bedeutung berichtet.
Mit der Berufung vertritt die Klägerin die Auffassung, das Landgericht habe die gebotene Auslegung im Gesamtzusammenhang des Artikels nicht vorgenommen und sich dadurch einer zutreffenden Auslegung der angegriffenen Einzeläußerung verschlossen. Die tatsächlich geschilderten Vorgänge hinterließen beim Leser den Eindruck, die Kundin habe im Zusammenhang mit einer Hundefutterbestellung durch "Aufklappen eines pop-ups im Internet" mit der Klägerin einen Vertrag geschlossen, woraufhin Abbuchungen durch die Klägerin erfolgt seien. Tatsächlich sei die Klägerin im Internet überhaupt nicht aktiv und unterhalte dort auch keine "Abo-Fallen". In gleicher Weise werde beim Leser der zwingende Eindruck erweckt, die Kundin hätte über die Website "Abo-Alarm" einen mit der Klägerin eingegangenen Vertrag wirksam gekündigt, die Klägerin habe dann aber gleichwohl weiter Beiträge eingezogen. Für ihre entgegenstehende Behauptung sei die Beklagte beweisfällig geblieben. Auf dieser unwahren Tatsachengrundlage beruhe auch die Wertung als "Abzocke", die zudem den strafrechtlichen Vorwurf des Betrugs beinhalte und daher ebenfalls zu unterlassen sei. Das Landgericht habe überdies nicht gewür...