Leitsatz (amtlich)
Verlangt ein Fahrzeugkäufer von dem Fahrzeughersteller Schadenersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung, ist das Zivilgericht an die im Verwaltungsverfahren ergehende Entscheidung über die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung gebunden (Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts). Ist ein verwaltungsgerichtliches Verfahren hierüber anhängig, ist der Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens anzusehen.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Aktenzeichen 5 O 23/19) |
Tenor
I. Der Rechtsstreit wird bis zum rechtskräftigen Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Schleswig, 3 A 51/21, über die Anfechtung des Bescheids des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 21.06.2019, soweit der hier streitgegenständliche Fahrzeugtyp betroffen ist, ausgesetzt.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten als Herstellerin des von ihm erworbenen Fahrzeugs Schadensersatz im Hinblick auf dessen Abgasverhalten.
Er erwarb im Jahr 2012 einen gebrauchten Pkw ..., der mit einem Motor der Reihe ... ausgerüstet ist, zu einem Kaufpreis von 46.150,00 EUR.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat mit Bescheid vom 21.06.2019 für das streitgegenständliche Fahrzeug und andere Fahrzeuge nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung erlassen und den Rückruf angeordnet. Der Wagen war mit einer nach Auffassung des Kraftfahrtbundesamtes unzulässigen sog. Kühlmittel-Solltemperaturregelung (im Folgenden: KSR) ausgestattet. Mit Schreiben vom 19.07.2018 (B17) gab das KBA das von der Beklagten entwickelte Update frei und bestätigte, dass damit keine unzulässige Abschalteinrichtung (mehr) vorhanden sei.
Der Kläger hat in erster Instanz behauptet, der Wagen sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters ausgerüstet. Hierüber sei er von der Beklagten in sittenwidriger Weise getäuscht worden. Außerdem sei eine KSR verbaut, die vom Kraftfahrtbundesamt beanstandet werde.
Wegen des weiteren Vortrags erster Instanz verweist der Senat auf die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat - unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Dresden (Urteil vom 16.07.2019, 9 U 567/19, juris) - zur Begründung ausgeführt, dass es unabhängig von der Frage, ob ein Thermofenster gem. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 zulässig sei, jedenfalls an einem sittenwidrigen Verhalten fehle.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Senat hat mit Beschluss vom 25.11.2020 darauf hingewiesen, dass es der Beklagten aus ihrer sekundären Darlegungspflicht heraus obliege vorzutragen, worin das KBA die unzulässige Abschalteinrichtung sehe und gegebenenfalls warum aus Sicht der Beklagten gleichwohl keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege. Die Beklagte hat daraufhin vorgetragen, dass das KBA die KSR beanstandet habe, wobei sie den Terminus "geregeltes Kühlmittelthermostat" verwendet. Ihr Vortrag zur beanstandeten Funktionsweise hat sich zwar über viele Seiten erstreckt, in der Sache aber im Wesentlichen darin erschöpft, Genaues wegen wichtiger Betriebsgeheimnisse nicht vortragen zu wollen. Erst auf den weiteren Hinweis vom 26.02.2021, dass der Vortrag zur genauen Funktion der KSR nicht ausreiche und das Berufen auf Betriebsgeheimnisse nicht hinreichend begründet sei, hat die Beklagte die Funktionsweise der KSR detaillierter beschrieben.
Sie ist der Auffassung, dass die KSR keine unzulässige Abschalteinrichtung sei. Dies gelte schon deswegen, weil sie auf dem Prüfstand wie auf der Straße unter gleichen Bedingungen gleich arbeite. Es fehle jedenfalls an dem für ein sittenwidriges Verhalten erforderlichen Unrechtsbewusstsein der handelnden Personen. Eine Einordnung der KSR als unzulässig scheitere zudem daran, dass das Fahrzeug typgenehmigt und der Rückrufbescheid nicht bestandskräftig sei. Die Zivilgerichte seien an die Genehmigung im Verwaltungsverfahren gebunden (sog. Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts). Sollte es dem Senat hierauf ankommen, müsse das Verfahren bis zum Abschluss des verwaltungsrechtlichen Verfahrens ausgesetzt werden.
II. Das Verfahren ist gem. § 148 ZPO auszusetzen, bis das verwaltungsgerichtliche Verfahren zur Frage der Zulässigkeit der KSR rechtskräftig abgeschlossen ist.
1. Der geltend machte Anspruch erscheint nach der vorläufigen Rechtsauffassung des Senats dem Grunde nach gegeben. Auch der Höhe nach wird die Klage im Wesentlichen begründet sein.
Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 826 BGB. Wird der Käufer eines Kraftfahrzeugs dadurch geschädigt, dass der Hersteller des Fahrzeugs den Wagen vorsätzlich mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versieht und läuft der Käufer dadurch Gefahr, dass das Fahrzeug stillgelegt wird, liegt eine sittenwidrige Schädigung des Käufers vor. Hierfür haftet der Hersteller, wenn alle Tatbestandsmerkmale in einer Person vereint werden, für deren Handeln der Hersteller...