Leitsatz (amtlich)
Verlangt ein Fahrzeugkäufer von dem Fahrzeughersteller Schadenersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung, ist das Zivilgericht an die im Verwaltungsverfahren ergehende Entscheidung über die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung gebunden (Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts). Ist ein verwaltungsgerichtliches Verfahren hierüber anhängig, ist der Rechtsstreit bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens auszusetzen.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 09 O 347/19) |
Tenor
Der Rechtsstreit wird bis zum rechtskräftigen Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Schleswig, 3 A 63/21, über die Anfechtung des Bescheids des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 11.10.2019, ergänzt mit Bescheid vom 13.11.2019, soweit der hier streitgegenständliche Fahrzeugtyp betroffen ist, ausgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten als Herstellerin des von ihm erworbenen Fahrzeugs Schadensersatz im Hinblick auf dessen Abgasverhalten.
Er erwarb im Jahr 2015 einen gebrauchten ... Automatik, ..., Erstzulassung 03/2014, der mit einem Motor der Reihe ... (EU5) ausgerüstet ist, zu einem Kaufpreis von 35.300,00 EUR. Das Fahrzeug hatte einen Kilometerstand von 17.037. Am 16.12.2019 betrug er 213.458.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat mit Basis-Bescheid vom 11.10.2019 und Ergänzungsbescheid vom 13.11.2019 für das streitgegenständliche Fahrzeug und andere Fahrzeuge nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung erlassen und den Rückruf angeordnet. Der Wagen war mit einer nach Auffassung des KBA unzulässigen sog. Kühlmittel-Solltemperaturregelung (im Folgenden: KSR) ausgestattet.
Der Kläger hat in erster Instanz behauptet, das Fahrzeug sei mit einer Software ausgestattet, die erkenne, ob es einem Prüfstandstest unterzogen werde oder sich auf der Straße befinde und verändere entsprechend das "Verhalten" des Motors in Bezug auf die Abgase. Außerdem sei es mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters ausgerüstet.
Wegen des weiteren Vortrags erster Instanz verweist der Senat auf die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat - unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Dresden (Urteil vom 16.07.2019, 9 U 567/19, juris) - zur Begründung ausgeführt, dass es unabhängig von der Frage, ob ein Thermofenster gem. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 zulässig sei, jedenfalls an einem sittenwidrigen Verhalten fehle. Dem Kläger sei auch kein Schaden entstanden.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Senat hat mit Beschluss vom 10.03.2021 darauf hingewiesen, dass es der Beklagten aus ihrer sekundären Darlegungspflicht heraus obliege vorzutragen, worin das KBA die unzulässige Abschalteinrichtung sehe und gegebenenfalls warum aus Sicht der Beklagten gleichwohl keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege. Er hat ferner darauf hingewiesen, dass angesichts der hohen Kilometerleistung des Fahrzeugs schon bei der mündlichen Verhandlung des Landgerichts ein Schaden inzwischen vollständig entfallen sein könnte.
Der Kläger hat den aktuellen Kilometerstand des Fahrzeugs nicht mitgeteilt.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die KSR keine unzulässige Abschalteinrichtung sei. Dies gelte schon deswegen, weil sie auf dem Prüfstand wie auf der Straße unter gleichen Bedingungen gleich arbeite. Es fehle jedenfalls an dem für ein sittenwidriges Verhalten erforderlichen Unrechtsbewusstsein der handelnden Personen. Eine Einordnung der KSR als unzulässig scheitere zudem daran, dass das Fahrzeug typgenehmigt und der Rückrufbescheid nicht bestandskräftig sei. Die Zivilgerichte seien an die Genehmigung im Verwaltungsverfahren gebunden (sog. Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts). Sollte es dem Senat hierauf ankommen, müsse das Verfahren bis zum Abschluss des verwaltungsrechtlichen Verfahrens ausgesetzt werden.
II. Das Verfahren ist gem. § 148 ZPO auszusetzen, bis das verwaltungsgerichtliche Verfahren zur Frage der Zulässigkeit der KSR rechtskräftig abgeschlossen ist.
1. Der geltend gemachte Anspruch erscheint nach der vorläufigen Rechtsauffassung des Senats dem Grunde nach gegeben. Der Höhe nach beschränkt er sich allerdings auf den verbliebenen Zinsanspruch.
Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 826 BGB. Wird der Käufer eines Kraftfahrzeugs dadurch geschädigt, dass der Hersteller des Fahrzeugs den Wagen vorsätzlich mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versieht und läuft der Käufer dadurch Gefahr, dass das Fahrzeug stillgelegt wird, liegt eine sittenwidrige Schädigung des Käufers vor. Hierfür haftet der Hersteller, wenn alle Tatbestandsmerkmale in einer Person vereint werden, für deren Handeln der Hersteller gem. § 31 BGB haftet (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2021 - VI ZR 505/19 -, Rn. 23, juris). Der Anspruch ist gerichtet auf Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe des von dem Käufer gezahlten ...