Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch des Erwerbers wegen des Erwerbs eines möglicherweise mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Dieselfahrzeugs kann nur bei Vorliegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung auf den sog. großen Schadensersatz gerichtet werden. Der Schaden in Form des Kaufpreises unter Anrechnung von Nutzungsentschädigung fällt demgegenüber nicht in den Schutzbereich der Vorschriften der Typengenehmigungsverordnung.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Aktenzeichen 5 O 90/22) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Chemnitz vom 16.09.2022 - 5 O 90/22 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
III. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen
Beschluss:
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf bis zu 13.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Aufnahme des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Der Kläger kann unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt von der Beklagten den von ihm begehrten großen Schadensersatz verlangen.
Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen.
Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe greifen nicht durch.
Der Kläger hat bereits im Ansatz nicht hinreichend zum Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen vorgetragen (1.). Das Gleiche gilt für seinen Vortragen zur behaupteten vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagten (2.). Schließlich kann er auch bei unterstellter unzulässiger Abschalteinrichtung keinen Schadensersatz aus § 823 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 21.03.2023 in der Rechtssache C-100/21 verlangen, denn es fehlt vorliegend an einem zurechenbaren Schaden (3.).
1. a) Thermofenster
Der Kläger hat in der Berufungsinstanz vortragen lassen, das Thermofenster sei nicht "Hauptansatzpunkt" im vorliegenden Verfahren (S. 14 Berufungsbegründung). Eine hinreichend substantiierte Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung liegt hierin nicht. Er hat nämlich ohne Bezug zum konkreten Fahrzeug nur ausgeführt, dass außerhalb des NEFZ, der Temperaturen zwischen 20° und 30° Celsius vorsieht, die Abgasrückführung vermindert sei und der SCR-Katalysator nur eingeschränkt funktioniere. Dem hinreichend substantiierten Vortrag der Beklagten (S. 30 Klageerwiderung vom 31. 03.2022) zu einem "großen Thermofenster" im Bereich von - 24° bis + 70° Celsius wird damit nicht ausreichend entgegengetreten. Ein solches Thermofenster wäre nach der Rechtsprechung des EuGH wohl nicht als Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der VO 715/2007 anzusehen, weil hierzu tatbestandlich gehört, dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems "unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind" verringert wird (EuGH, U. v. 14.07.2022 - C-128/20 juris Rz. 36). Bei Temperaturen unterhalb von -24 Grad Celsius und oberhalb von +70 Grad Celsius handelt es sich nicht um im normalen Fahrzeugbetrieb zu erwartende Bedingungen.
b) OBD-System
Die behauptete konkrete Ausgestaltung des On Board Diagnose-Systems (OBD-System) stellt kein Indiz für eine sittenwidrige Schädigungsabsicht der Beklagten dar, und zwar selbst dann nicht, wenn man den Vortrag der Klägerin als richtig unterstellt, dass das OBD-System so programmiert ist, dass selbst erhebliche Überschreitungen des als zulässig definierten Emissionsausstoßes nicht angezeigt werden. Nach Art. 3 Nr. 9 VO 715/2007/EG handelt es sich hierbei um ein System für die Emissionsüberwachung, das in der Lage ist, mithilfe rechnergespeicherter Fehlercodes den Bereich von Fehlfunktionen anzuzeigen. Dies bedeutet, dass das OBD-System die Fehlfunktion eines emissionsrelevanten Bauteils oder Systems anzeigen muss, wenn diese dazu führt, dass die Abgasemissionen bestimmte Schwellenwerte überschreiten. Daraus ist zu schließen, dass Veranlassung des OBD-Systems für eine Messung von Schwellenwerten nur im Fall des Ausfalls oder der Fehlfunktion emissionsrelevanter Bauteile oder Systeme besteht. Hingegen ist es nicht Aufgabe des OBD-Systems, konstante Messungen der Schadstoffemissionen vorzunehmen und bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte Signale zu setzen bzw. zu speichern (Senat, Urteil vom 31.01.2023 - 4 U 1263/22 - juris; OLG München, Beschluss vom 01. August 2022, Az.: 35 U 3061/22; OLG Hamm, Urteil vom 28. Januar 2021, Az.: 18 U 21/20 - juris, Rz. 164; OLG Oldenburg, Urteil vom 22. Juli 2021, Az.: 8 U 201/20 -, juris Rz. 44 f.; OLG Saarbrücken, Urteil vom 15. Dezember 2021, Az.: 2 U 68/21 -, juris, Rz. 53).
c) Fahrkurve
Der Vortrag des Klägers, die Beklagte habe eine zuvor im Fahrzeug vorhandene Fahrkurve "heimlich" entfernt (S. 48 Berufungsbegründung), ist schon nicht nachvollziehbar, jedenfalls hat aber der Kläger damit zugestanden, dass eine Fahrkurve als unzu...