Leitsatz (amtlich)

1. Die Anforderungen an den Vortrag greifbarer Anhaltspunkte für den sittenwidrigen Verbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung sind erhöht, wenn zu dem streitgegenständlichen Motor (hier: EA 288) bereits umfangreiche Untersuchungen des Kraftfahrtbundesamtes mit negativem Ergebnis stattgefunden haben.

2. Ein subjektiver Schädigungsvorsatz bezüglich eines sog. Thermofensters lässt sich für den Zeitraum bis zur Entscheidung des EuGH vom 17.12.2020 (C-693/18) jedenfalls nicht aus dessen Verbau schließen.

3. Für die Behauptung, in einem Fahrzeug sei ein sog. Fahrkurve verbaut, trägt der Anspruchsteller die Beweislast; träge der Fahrzeughersteller substantiiert vor, diese sei im streitgegenständlichen Fahrzeug nachträglich entfernt worden, obliegt es dem Käufer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, diesem Vortrag substantiiert entgegenzutreten.

4. Die Art. 5 VG (EG) 715/2007, §§ 6, 27 EG-FGV sind nur insoweit drittschützend, als die weitere Nutzung im Straßenverkehr betroffen ist, nicht jedoch im Hinblick auf das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Erwerbers.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Aktenzeichen 2 O 38/22)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 17. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil sowie das unter Ziffer 1. des Tenors genannte landgerichtliche Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 21.848,20 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Audi Q3 Sport 2.0 TDI.

Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 29. Januar 2019 beim Audi-Zentrum Hochstraße in München das Fahrzeug als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 23.647,00 EUR. Das Fahrzeug verfügt über einen Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse EU 6), ist mit einem SCR-Katalysator ausgestattet und hatte bei Übergabe an den Kläger einen Kilometerstand von 61.708 km, zum 13. Juni 2022 von 81.651 km und zum 20. Dezember 2022 von 83.638 km. Die Beklagte ist Herstellerin des in dem Fahrzeug verbauten Motors. Das Fahrzeug ist nicht von einem durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) angeordneten (verpflichtenden) Rückruf betroffen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und der erstinstanzlichen Antragstellung wird auf das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 17. Juni 2022 verwiesen.

Das Landgericht Chemnitz hat mit vorgenanntem Urteil die Klage abgewiesen, da Schadenersatzansprüche des Klägers weder nach § 826 BGB noch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz bestünden. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten sei nicht gegeben. Bezogen auf das "Thermofenster" stelle der Kläger nicht dar, dass die Abgasrückführung auf dem Prüfstand anders funktioniere als im normalen Fahrbetrieb. Die "Fahrkurvenerkennung" sei bereits vor Übergabe des Fahrzeuges an den Kläger entfernt gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter. Er wendet ein, das Landgericht habe zu Unrecht die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches nach § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB verneint. In dem streitgegenständlichen Motor sei eine Software - sogenanntes "Thermofenster" - verbaut, aufgrund derer im normalen Straßenbetrieb in Temperaturbereichen unter 5 Grad Celsius mindestens das dreifache an Stickoxid ausgestoßen werde, als dies für das Fahrzeug mit Euro 6 (80 mg/km) Abgasnorm zulässig sei. Darüber hinaus verfüge das Fahrzeug über eine Softwarefunktion, aufgrund der anhand von sogenannten "Fahrkurven" der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ) erkannt und daraufhin ca. 1.200 Sekunden nach Motorstart (so lange dauere die NEFZ-Prüfung) in einen anderen (den "schmutzigen") Abgasmodus gewechselt und in diesem mindestens das 3,8-fache des zulässigen Stickoxides ausgestoßen werde. An dem erstinstanzlich erfolgten Bestreiten mit Nichtwissen bezüglich der beklagtenseits erfolgten Behauptung der Entfernung der "Fahrkurvenerkennung" werde festgehalten. Es sei unklar, ob und - wenn ja - was die Beklagte in der Zwischenzeit mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug insoweit "angestellt" habe, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Abschalteinrichtung noch immer vorhanden und vor allem auch zum Kaufzeitpunkt installiert gewesen sei. Allenfalls habe die Beklagte die Software und damit die Abschalteinrichtungen verändert bzw. komplexer gestaltet, um ihre Manipulation zu verschleiern. Darüber hinaus erfül...

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