Leitsatz (amtlich)
1. Die vertragliche Vereinbarung zwischen der beklagten Sparkasse und ihrem Kunden zur Führung eines Girokontos enthält, soweit es die Aufbewahrung von Kundengeldern betrifft, eine Verwahrungsfunktion, auf welche die Vorschriften über die unregelmäßige Verwahrung anzuwenden sind.
2. Die Aufbewahrung eines ausgewiesenen Guthabens auf dem Girokonto ist neben den von der Sparkasse zu erbringenden Zahlungsdiensten eine eigenständige Hauptleistungspflicht der Sparkasse.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 5 O 640/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 08.07.2021, Az. 5 O 640/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 08.07.2021 sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
A. Der Kläger, eine qualifizierte Einrichtung gemäß § 4 UKlaG, macht AGB-rechtliche (und erstinstanzlich zusätzlich wettbewerbsrechtliche) Unterlassungsansprüche wegen der Verwendung einer Entgeltklausel der Beklagten gegenüber Verbrauchern, mit denen ein Zahlungsdiensterahmenvertrag abgeschlossen werden soll, geltend. Streitgegenständlich ist eine Bestimmung in den Vertragsbedingungen der Beklagten, die nach Vereinbarung mit den Kunden ein variables Verwahrentgelt für Guthaben ab 5.000,01 EUR in Höhe von 0,2 Prozentpunkten über dem Einlagefazilitätszinssatz der Europäischen Zentralbank (im Februar 2020: insgesamt 0,7 % p.a.) für ab dem 01.02.2020 neu eröffnete Privatkonten sowie bei einem Kontomodellwechsel ab diesem Zeitpunkt festlegt.
Die Beklagte bietet für Privatkunden, die Verbraucher sind, die kontoführungsgebührenpflichtigen Kontomodelle "VogtlandGiro komfort", "VogtlandGiro basis" und "VogtlandGiro direkt" sowie das kontoführungsgebührenfreie "VogtlandGiro young" an. Zu allen vier Kontomodellen informierte die Beklagte ihre Kunden auf ihrer Internetseite über das Anfallen des streitgegenständlichen Verwahrentgelts ab dem 01.02.2020 (Auszug Anlage K 2 - Screenshot Webseitenausdruck - Rubrik "Preise"). Das Kontomodell "VogtlandGiro young" wurde weiterhin mit "kostenfreie Kontoführung für Schüler, Azubis und Studenten" beworben (Screenshot Auszug Anlage K 3). Neukunden der Beklagten sowie (durch vertragliche Vereinbarung) kontowechselnden Bestandskunden wurde nach Beratung durch die Beklagte bei Vertragsschluss neben den weiteren Vertragsunterlagen jeweils eine "Anlage Verwahrentgelt zu Girokonto" (Anlage B 1/B 9) zur Unterschrift vorgelegt. Parallel wurde die streitgegenständliche Verwahrentgeltklausel in das Preis-Leistungsverzeichnis und den Preisaushang (Anlage B 2) aufgenommen. Die Klausel wurde von der Beklagten im Zeitraum vom 01.02.2020 bis zum 13.02.2020 verwendet.
Mit Schreiben vom 20.02.2020 (Anlage K 4) mahnte der Kläger die Beklagte wegen der Verwendung der Entgeltklausel ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Die Beklagte trat dem Unterlassungsbegehren mit Schreiben vom 27.02.2020 (Anlage K 5) entgegen.
Mit seiner am 19.03.2020 erhobenen Klage hat der Kläger die Unterlassung der Verwendung und/oder Berufung auf diese bzw. inhaltsgleiche Bestimmung (Klageantrag Ziffer 1.a)), hilfsweise für den Fall, dass zugleich Kontoführungsentgelte erhoben werden, beantragt. Mit dem Klageantrag Ziffer 1.b) hat der Kläger die Unterlassung der Forderung und Einziehung von Entgelten auf Grundlage der angegriffenen Vertragsbestimmung gefordert. Mit dem Klageantrag Ziffer 1.c) hat er die Unterlassung der Werbung mit "kostenfreier Kontoführung für Schüler, Azubis und Studenten" gefordert, wenn gleichzeitig ein Verwahrentgelt verlangt wird. Zudem hat er die Zahlung von 200,00 EUR für vorgerichtliche Abmahnungskosten (Klageantrag Ziffer 2) beantragt.
Der Kläger ist der Auffassung, das Erheben eines Verwahrentgelts/Negativzinses von Bestands- und Neukunden verstoße gegen den Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen der §§ 675f Abs. 5, 675g BGB (Zahlungsdiensterahmenvertrag) und benachteilige Verbraucher unangemessen. Das Dokument "Anlage Verwahrentgelt zu Girokonto" (Anlage B 1) sei keine Individualabrede. Die streitgegenständliche Klausel weiche sowohl bei Alt- als auch bei Neukunden vom gesetzlichen Leitbild ab (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Für Leistungen, zu denen die Bank kraft Gesetzes oder aufgrund vertraglicher Nebenpflicht verpflichtet sei oder die sie im eigenen Interesse wahrnehme, dürfe kein Entgelt berechnet werden. Die Regelungen der §§ 675c ff. BGB sähen ein Verwahrentgelt gerade nicht vor. Die Unangemessenheit der Klausel der Beklagten folge schließlich aus den Konditionen (Zuschlag von 0,2 % auf den Einlagefazilitätszins der Europäischen Zentral...