Leitsatz (amtlich)
1. Zur Auslegung eines privatschriftlichen Testaments, mit dem der Erblasser bestimmt, seine Ehefrau solle die Wohnung einschließlich der Einrichtung erhalten und außerdem über sein gesamtes Vermögen verfügen können. ... Nach dem Ableben seiner Ehefrau solle die Tochter des Erblassers aus einer früheren Ehe alles erhalten, was noch verblieben sei, als Einsetzung der Ehefrau des Erblassers zu seiner Vorerbin und seiner Tochter als deren Nacherbin.
2. Ein im Rahmen des § 1944 Abs. 2 Satz 1 beachtlicher, einen späteren Beginn der Ausschlagungsfrist für die Anfechtung der Annahme der Vorerbschaft bzw. Ausschlagung der Erbschaft (hier der Erben der Vorerbin wegen Beschränkung deren Erbes durch die Nacherbschaft der Tochter des Erblassers) auslösender Rechtsirrtum ist nicht anzunehmen, wenn der Erbe subjektiv zweifelt, die Rechtslage sich indes bei objektiver Beurteilung als völlig eindeutig darstellt (Hier bietet die als Erben der zweiten Ehefrau des Erblasser abgegebene notarielle Erklärung der Kinder, ihre Mutter habe die Erbschaft als Vorerbin nach dem Erblasser niemals annehmen wollen; dass ihre Mutter nur als Vorerbin des Erblassers gelte, hätten sie, ihre Kinder erst durch Schreiben des Nachlassgerichts erfahren, keinen Anhalt für einen relevanten Rechtsirrtum.).
Normenkette
BGB §§ 157, 242, 1944 Abs. 1, 2 S. 1, § 1953 Abs. 1; FamFG § 27 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Oberhausen (Aktenzeichen 6 VI 1115/19) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 vom 28. Juli 2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Oberhausen - Nachlassgericht - vom 23. Juni 2020 aufgehoben. Das Nachlassgericht wird angewiesen, der Beteiligten zu 1 den mit dem Hauptantrag beantragten Erbschein als Nacherbin nach dem Erblasser zu erteilen.
Die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Erbscheinsverfahrens trägt die Beteiligte zu 1, die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beteiligte zu 2. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet weder im Erbscheinsverfahren noch im Beschwerdeverfahren statt.
Geschäftswert: 26.169,06 EUR.
Gründe
I. Die Beteiligte zu 1 ist die Tochter des Erblassers aus einer früheren Ehe. Die Beteiligten zu 2 und 3 sind die Kinder der zweiten Ehefrau des Erblassers.
Handschriftlich hatte der Erblasser am 23. April 2003 testiert, seine Ehefrau solle die Wohnung einschließlich der Einrichtung erhalten und außerdem über sein gesamtes Vermögen verfügen können. Damit solle sie die Möglichkeit haben, auch nach seinem Tod in der Wohnung bleiben und den jetzigen Lebensstandard zu halten. Von dem Überschuss der Witwenrente über die festen monatlichen Kosten könne sie nicht leben. Die Differenz [ ersichtlich gemeint: der für den Lebensstandard erforderliche, aber ungedeckte Spitzenbetrag ] könne monatlich vom Sparbuch abgehoben werden. Nach dem Ableben seiner Ehefrau solle die Beteiligte zu 1 alles erhalten, was noch geblieben sei.
Die Ehefrau des Erblassers beantragte mit notarieller Urkunde vom 25. Sept. 2019 einen Erbschein als Alleinerbin des Erblassers. Nach Behauptung der Beteiligten zu 2, weil die Beteiligte zu 1 sie nachdrücklich aufgefordert habe, das gesamte Vermögen zu Lebzeiten herauszugeben; deren Plan sei es gewesen, die Ehefrau in den Wahnsinn zu treiben, damit sie, die Beteiligte zu 1, endlich das gesamte Vermögen als Schlusserbin erhalte; deshalb sei es nun ihr (der Beteiligten zu 2) Ziel, "eine Erteilung auf Schlusserbin für .... (die Beteiligte zu 1)" zu verhindern und deren Enterbung zu erreichen.
Die Ehefrau des Erblassers starb am 22. Okt. 2019 und wurde von den Beteiligten zu 2 und 3 beerbt.
Die Beteiligte zu 1 beantragte mit notarieller Urkunde vom 16. Dez. 2019 einen Erbschein als Alleinerbin des Erblassers.
Das Nachlassgericht teilte den Beteiligten mit Schreiben vom 7. Jan. 2020 mit, es gehe davon aus, dass die verstorbene Ehefrau des Erblassers Vorerbin und die Beteiligte zu 1 Nacherbin geworden sei. Den - noch unbeschiedenen - Erbscheinsantrag der Ehefrau nahm der Notar mit Schreiben vom 6. Febr. 2020 zurück. Die Beteiligte zu 1 ergänzte ihren Erbscheinsantrag dahin, dass sie Nacherbin geworden sei. Hilfsweise beantragte sie, ihr einen Erbschein als Alleinerbin zu erteilen.
Die Beteiligten zu 2 und 3 erklärten mit notarieller Urkunde vom 23. Jan. 2020, ihre Mutter habe die Erbschaft als Vorerbin nach dem Erblasser niemals annehmen wollen. Dass ihre Mutter nur als Vorerbin des Erblassers gelte, hätten sie - ihre Kinder - durch das Schreiben des Nachlassgerichts vom 7. Jan. 2020 erfahren. Ihr und ihnen sei das nicht bekannt gewesen. Daher fochten sie als ihre Erben die Annahme der Vorerbschaft an und schlugen zugleich die Erbschaft wegen der Beschränkung durch die Nacherbschaft als Erben für ihre Mutter aus.
Das Nachlassgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Hauptantrag der Beteiligten zu 1 (Erbschein als Nacherbin) zurückgewiesen und die zur Begründung des Hilfsantrages (Alleinerbin) erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Die Auslegung des Testaments vom 23. Apri...