Leitsatz (amtlich)

1. Ist der potentielle Erbe aufgrund der von ihm in Erfahrung gebrachten Umstände (u. a. vermüllte Wohnung, umherliegende Rechnungen und Mahnungen, keine werhaltigen Gegenstände in der Wohnung, Informationen des Nachlassgerichts über offene Nachlassverbindlichkeiten und Bezahlung der Bestattung durch die öffentliche Hand) und der aus seiner Sicht abschließend, weil ohne sich ihm eröffnende Anhaltspunkte für weitere taugliche Informationsquellen, erfolgten Klärung der Vermögensverhältnisse, zu der Vorstellung gelangt, im Nachlass befänden sich ausschließlich Verbindlichkeiten des Erblassers, so hat er sich bei seiner hierauf basierenden Erklärung der Erbausschlagung nicht lediglich von Spekulationen, sondern von der Überzeugung einer Überschuldung leiten lassen, was ihm für den Fall, dass sich - wie hier - im Nachhinein die Werthaltigkeit des Nachlasses herausstellt, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen, die Möglichkeit eröffnet, seine Erbausschlagungserklärung wegen Eigenschaftsirrtums anzufechten.

2. Zur Zurückverweisung an das Ausgangsgericht wegen fehlerhaft unterbliebener Beteiligung des für Wahrnehmung der Belange der bislang noch nicht ermittelten weiteren gesetzlichen Erben des Erblassers im Erbscheinerteilungsverfahren bestellten Verfahrenspflegers.

 

Normenkette

BGB § 119 Abs. 1-2, § 1913 S. 1, § 1954 Abs. 1-2; FamFG §§ 7, 21, 69 Abs. 1 S. 2, § 345 Abs. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

AG Düsseldorf (Aktenzeichen 93a VI 466/18)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss mit dem ihm zugrundeliegenden Verfahren wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - nach Maßgabe der folgenden Gründe an das Nachlassgericht zurückverwiesen.

Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren: 412.111,44 EUR

 

Gründe

I. Der Erblasser war geschieden und verstarb kinderlos; seine Eltern sind vorverstorben, Geschwister hatte er nicht. Der Beteiligte zu 1 war sein Cousin; der Beteiligte zu 2 ist damit befasst, weitere gesetzliche Erben zu ermitteln.

Am 16. August 2018 wurde der Erblasser von der Polizei tot in seiner völlig vermüllten und verdreckten Wohnung aufgefunden; der Notarzt ging von einem natürlichen Geschehen aus. Die Polizei ermittelte den Beteiligten zu 1 als Angehörigen und dieser erklärte gegenüber der Polizei, die Bestattung und die Nachlassregelung nicht zu übernehmen. Am 18. September 2019 und am 17. Oktober 2019 nahm der Beteiligte zu 1 telefonisch Kontakt mit dem Nachlassgericht auf und kündigte im zweiten Telefonat an, die Erbschaft ausschlagen zu wollen. Am 8. November 2018 erklärte der Beteiligte zu 1 zu Protokoll des Amtsgerichts Solingen die Ausschlagung der Erbschaft aus jedem Berufungsgrunde und vorsorglich die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist. Das Bestehen einer Ausschlagungsfrist sei ihm nicht bekannt gewesen. Der Nachlass sei nicht bekannt, nach Auskunft des Nachlassgerichts sei die Bestattung aus öffentlicher Hand gezahlt worden, somit werde von einer Überschuldung ausgegangen.

Mit Beschluss vom 17. Juni 2019 bestellte das Nachlassgericht den Beteiligten zu 2 zum Nachlasspfleger und den Beteiligten zu 3 zum Verfahrenspfleger der unbekannten Erben.

Mit notariell beurkundeter Erklärung vom 18. März 2020 hat der Beteiligte zu 1 seine Erbausschlagung vom 8. November 2018 angefochten. Er sei von der Kriminalpolizei Düsseldorf Ende September 2018 vom Tod des Erblassers informiert worden. Er habe gegenüber der Polizei erklärt, sich um die Räumung der Wohnung und die Erledigung der anfallenden Arbeiten kümmern zu wollen. Davon habe die Polizei ihm dringend abgeraten, da die Wohnung in einem erbarmungswürdigen Zustand sei; umherliegende Rechnungen und Mahnungen würden darauf hindeuten, dass erhebliche Nachlassverbindlichkeiten bestünden; werthaltige Gegenstände befänden sich nicht in der Wohnung. Deshalb sei er, der Beteiligte zu 1, davon ausgegangen, dass der Nachlass überschuldet sei. Ihm selbst sei nicht bekannt gewesen, ob oder ggfs. wo der Erblasser Vermögen habe. Zudem habe er die Befürchtung gehabt, als möglicher Erbe wegen der zunächst ungeklärten Todesursache beim Erblasser auch staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ausgesetzt sein zu können. Auch die Informationen des Nachlassgerichts über offene Nachlassverbindlichkeiten und über die Bezahlung der Bestattung des Erblassers durch die öffentliche Hand hätten ihn in seiner Vorstellung von einer Überschuldung bestätigt. Am 21. Februar 2020 habe ihm eine Mitarbeiterin des Beteiligten zu 2 mitgeteilt, dass sich ein nicht unerhebliches Vermögen im Nachlass befinde.

Der Beteiligte zu 2 hat gegenüber der Wirksamkeit der Anfechtung der Erbausschlagungserklärung Bedenken erhoben.

Mit notarieller Urkunde vom 10. Juni 2020 hat der Beteiligte zu 1 die Erteilung eines ihn als Alleinerben ausweisenden Erbscheins beantragt.

Das Nachlassgericht - die Rechtspflegerin - hat den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 mit Beschluss vom 8. Juli 2020 zurückgewiesen. Der Beteiligte zu 1 habe...

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