Leitsatz (amtlich)
1. Das Verhalten des Beschuldigten ist nicht ursächlich im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG, wenn die Strafverfolgungsmaßnahme auch ohne sein Verhalten angeordnet oder aufrechterhalten worden wäre und maßgeblich auf andere Beweismittel gestützt wurde.
2. Das Verschweigen wesentlicher entlastender Umstände (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG) setzt begrifflich ein bewusstes Verhalten voraus. Ferner erfordert die Versagung der Entschädigung ein Verschulden des Beschuldigten.
3. Die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft ist zurückzustellen, wenn wegen funktionaler Verfahrenseinheit deren spätere Anrechnung in anderer Sache in Betracht kommt. Die Anrechnung ist gegenüber der Entschädigung vorrangig.
Tenor
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Die weitergehende sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem früherenAngeklagten zur Last.
Gründe
I.
Dem früheren Angeklagten, der sich vom 30. März 2009 bis zum 22. Juli 2009 in Untersuchungshaft befand, wurde in dem Haftbefehl des Amtsgerichts Moers vom 12. Januar 2009 zur Last gelegt, in der Zeit zwischen November 2007 und Juli 2008 in N. in mindestens 80 Fällen unerlaubt Betäubungsmittel an Minderjährige abgegeben oder zum unmittelbaren Verbrauch überlassen, in mindestens 40 Fällen sexuelle Handlungen Minderjähriger gefördert, einen Menschen der Freiheit beraubt und Zuhälterei betrieben zu haben.
Mit Anklage vom 27. April 2011 wurde dem früheren Angeklagten sodann Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in 81 Fällen und Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger in 40 Fällen zur Last gelegt.
Die auswärtige Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers hat ihn von diesen Tatvorwürfen durch Urteil vom 31. Oktober 2012 freigesprochen. Dieses Urteil ist nach Rücknahme der Revision der Staatsanwaltschaft rechtskräftig.
Zugleich hat das Landgericht angeordnet, dass der frühere Angeklagte für die in dieser Sache erlittene Freiheitsentziehung zu entschädigen ist. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG, § 311 Abs. 2 StPO) und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Indes hat das Rechtsmittel keinen Erfolg, soweit die Staatsanwaltschaft festgestellt wissen will, dass dem früheren Angeklagten keine Entschädigung für die erlittene Freiheitsentziehung zu gewähren ist.
1.
Nach § 2 Abs. 1 StrEG ist derjenige, der durch den Vollzug der Untersuchungshaft einen Schaden erlitten hat, aus der Staatskasse zu entschädigen, soweit er freigesprochen worden ist. Diese Voraussetzung ist in der Person des früherenAngeklagten, der sich vom 30. März 2009 bis zum 22. Juli 2009 in Untersuchungshaft befand, nach Rechtskraft des freisprechenden Urteils vom 31. Oktober 2012 erfüllt.
Eine vorläufige Festnahme als sonstige Strafverfolgungsmaßnahme (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 StrEG) ist entgegen dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nicht zuberücksichtigen, da der frühere Angeklagte am 30. März 2009 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Moers vom 12. Januar 2009 ergriffen wurde (§ 115 Abs.1 StPO). Bei dieser Sachlage begann die Untersuchungshaft bereits mit der Verhaftung (vgl. LR-Hilger, StPO, 26. Aufl., § 117 Rdn. 6).
2.
Die Entschädigung ist nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen. Der Freigesprochene hat die Strafverfolgungsmaßnahmen nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht.
Bei der Beurteilung ist nicht auf das Ergebnis der Hauptverhandlung, sondernallein darauf abzustellen, wie sich der Sachverhalt in dem Zeitpunkt dargestellt hat, in dem die Maßnahme angeordnet oder aufrechterhalten wurde (vgl. OLG Düsseldorf [1. Strafsenat] NStZ 1989, 232; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 5 StrEG Rdn. 10 m.w.N.). Das Verhalten des früheren Angeklagten ist nicht ursächlich, wenn die Maßnahme auch ohne sein Verhalten angeordnet oder aufrechterhalten worden wäre und maßgeblich auf andere Beweismittel gestützt wurde (vgl. OLG Düsseldorf [3. Strafsenat] StV 1988, 446; KG StraFo 2009, 129; Meyer-Goßner a.a.O. § 5 StrEG Rdn. 7 m.w.N.).
So liegt der Fall hier. Der Erlass des Haftbefehls vom 12. Januar 2009 beruhte auf den Aussagen der Geschädigten und den weiteren polizeilichen Ermittlungen. Das vorherige Verhalten des Freigesprochenen erschöpfte sich darin, dass er die ihm seinerzeit vorgeworfenen Taten bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung vom 18.März 2008 abstritt. Dies war für den späteren Erlass des Haftbefehls vom 12. Januar 2009 ohne Bedeutung.
Auch die Angaben, die der frühere Angeklagte bei der Verkündung des Haftbefehls am 31. März 2009 und der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung vom 27. Mai 2009 gemacht hat, waren nicht ursächlich für den (weiteren) Vollzug der Untersuchungshaft. Er hat lediglich die Überlassung eines Joints an die Zeugin S. eingeräumt und ansonsten sämtliche Tatvorwürfe bestritten. Gleichwohl wurde der Haftbefehl vom 12. Januar 2009, d...