Leitsatz (amtlich)
In den Fällen, in denen RVG VV-Vorbemerkung 3 Abs. 4 eine Anrechnung vorsieht, ist der zum 5.8.2009 in Kraft getretene § 15a RVG zu beachten. Aus dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 15a RVG folgt, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr zu unterbleiben hat.
Normenkette
RVG § 15a
Verfahrensgang
LG Duisburg (Beschluss vom 18.01.2011; Aktenzeichen 12 O 114/09) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 12. Zivilkammer des LG Duisburg - Einzelrichter - vom 18.1.2011 abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Auf die Erinnerung des Antragstellers wird der Beschluss des LG Duisburg - Rechtspflegerin - vom 14.9.2010 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die dem Rechtsanwalt ... aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen werden auf EUR 861,32 festgesetzt.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Beschwerde des Antragstellers vom 1.2.2011 (Bl. 314 ff. GA) gegen den Beschluss der 12. Zivilkammer des LG Duisburg - Einzelrichter - vom 18.1.2011 (Bl. 304 ff. GA) ist gem. §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG kraft ausdrücklicher Zulassung im angefochtenen Beschluss zulässig und begründet. Sie führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
Zu Recht wendet sich der Antragsteller gegen die Abweisung seiner Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung im Beschluss des LG Duisburg - Rechtspflegerin - vom 14.9.2010 (Bl. 259 GA). Bei der Vergütungsfestsetzung ist zu Unrecht die angemeldete Verfahrensgebühr um die Hälfte der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr, namentlich i.H.v. EUR 146,25, gekürzt worden.
In den Fällen, in denen RVG VV-Vorbemerkung 3 Abs. 4 eine Anrechnung vorsieht, ist der zum 5.8.2009 in Kraft getretene § 15a RVG zu beachten. § 15a Abs. 1 RVG regelt, welche Wirkungen der Anrechnung im Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Auftraggeber zukommt. Danach bewirkt die Anrechnung im Innenverhältnis, dass der Anwalt beide Gebühren geltend machen, aber insgesamt nicht mehr als den um die Anrechnung verminderten Betrag erhalten kann. § 15a RVG Abs. 2 betrifft die Wirkungen der Anrechnung im Verhältnis zu Dritten, die nicht am Mandatsverhältnis beteiligt sind, sondern etwa für entstandene Gebühren Schadensersatz zu leisten oder sie nach prozessrechtlichen Vorschriften zu erstatten haben. Danach kann sich ein Dritter im Außenverhältnis nur in den enumerativ aufgeführten drei Alternativen auf die Anrechnung berufen, damit sichergestellt ist, dass er nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz oder Erstattung in Anspruch genommen wird, den der Rechtsanwalt von seinem Auftraggeber verlangen kann (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drucks. 16/12717, 58f).
Ob die Staatskasse vorliegend als "Dritter" i.S.d. § 15a Abs. 2 RVG anzusehen ist (so OLG Braunschweig v. 22.3.2011 - 2 W 18/11; OLG Zweibrücken v. 11.5.2010 - 2 WF 33/10; Hess. LAG v. 16.10.2009, 13 Ta 530/09; a.A.: OLG Frankfurt v. 12.2.2010 - 18 W 3/10) oder die Vergütung an Stelle des Mandanten schuldet und insoweit im Innenverhältnis an die Stelle des Mandanten tritt, so dass § 15a Abs. 1 RVG eingreift (vgl. FG Sachsen-Anhalt v. 4.5.2010, 4 KO 409/10; OVG Lüneburg v. 27.10.2009, 13 OA 134/09), mag für den vorliegenden Fall dahinstehen.
Als Dritte könnte sich die Landeskasse nicht auf die Anrechnung berufen, weil die Voraussetzungen des § 15a Abs. 2 RVG nicht vorliegen. Sie hat weder den Anspruch auf die Geschäftsgebühr erfüllt, noch besteht gegen sie ein Vollstreckungstitel wegen einer der Gebühren, noch werden beide Gebühren im selben Verfahren gegen sie geltend gemacht. Eine andere Beurteilung ergibt sich entgegen der Auffassung des Rechtspflegers vom 14.10.2010 (Bl. 279 GA) auch nicht daraus, dass der Anspruch auf die vorgerichtliche Geschäftsgebühr nunmehr tituliert ist. Die Titulierung der Geschäftsgebühr wirkt nicht gegen die Staatskasse und steht im Übrigen einer Zahlung nicht gleich, weil die Titulierung noch keine Erfüllung bewirkt.
Als an die Stelle des Auftraggebers in das Innenverhältnis zum Anwalt Eingetretene müsste sich die Landeskasse entgegenhalten lassen, dass der Anwalt die Verfahrensgebühr noch in voller Höhe fordern kann, weil die Geschäftsgebühr vorliegend unstreitig nicht gezahlt worden ist und damit die Beschränkung des § 15a Abs. 1 RVG nicht eingreift.
Aus dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 15a RVG folgt - entgegen der Auffassung der Landeskasse -, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr zu unterbleiben hat (vgl. auch BGH v. 6.4.2011 - IV ZB 4/11; anders wohl OLG Frankfurt v. 12.2.2010 - 18 W 3/10). Ausweislich der Gesetzesbegründung wird mit Schaffung des § 15a RVG der bisher nicht im Gesetz definierte Begriff der Anrechnung legal definiert, um einerseits die unerwünschte Auswirkungen der Anrechnung zum Nachteil des Auftraggebers zu vermeiden, die aus dem vom BGH geprägten Verständnis der Anrechnung folgen, und andererseits den mit der Anrechnung verfolgten Zweck zu ...