Leitsatz (amtlich)

1. Ein Tatbestandsberichtigungsantrag nach Teilerlass einer einstweiligen Verfügung ist bezüglich des erlassenen Verfügungsteils kein Äquivalent für eine Parteizustellung, mit der eine einstweilige Verfügung vollzogen wird.

2. Wird eine bezüglich des wirtschaftlich überragend wichtigen Teils des ursprünglichen Verfügungsantrags erlassene einstweilige Verfügung vom Antragsteller nicht rechtzeitig vollzogen, so ist dies hinsichtlich des mit der Berufung weiterverfolgten Teils des Verfügungsantrags, dem noch nicht entsprochen worden ist, dringlichkeitsschädlich.

 

Normenkette

ZPO § 929 Abs. 2 S. 1, § 936

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Aktenzeichen 3 O 181/22)

 

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 28. Oktober 2022 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal (3 O 181/22) dahingehend abgeändert, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung insgesamt zurückgewiesen wird.

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das vorgenannte Urteil wird zurückgewiesen.

Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens in beiden Instanzen hat die Verfügungsklägerin zu tragen.

 

Gründe

I. Die Verfügungsklägerin ist ein Prozessfinanzierer und finanziert die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen von Verbrauchern im Zusammenhang mit dem sog. Dieselabgasskandal. Zu diesem Zweck kooperierte die Verfügungsklägerin in der Vergangenheit auch mit der Verfügungsbeklagten, einer Partnerschaft von Rechtsanwälten, die Mandatsverträge mit den um Rechtsschutz nachsuchenden Verbrauchern schließt. Grundlage der Zusammenarbeit zwischen der Verfügungsklägerin und der Verfügungsbeklagten war ein Rahmenvertrag vom 20. März 2020 (Anlage AS1). Dieser enthielt zum Umgang mit den Geldern der Mandanten, die aufgrund einer Kostenübernahmeerklärung der Verfügungsklägerin prozessierten, unter anderem die folgende Regelung:

"3.6 Die Kanzlei verwahrt Mandantengelder, einschließlich solche der Kostenerstattung und Vergleichsbeträge, auf separaten Bankkonten. Die Kanzlei informiert den Finanzierer unverzüglich über alle im Zusammenhang mit den Rechtsansprüchen erhaltenen Zahlungen, wobei jeder den jeweiligen Anspruchsinhaber identifizierbare Bezug durch eine Fallnummer zu ersetzen ist (wie im Joint Controller Agreements zwischen den Parteien vereinbart). Auf Anfrage stellt die Kanzlei dem Finanzierer während der Laufzeit dieses Vertrages jederzeit pseudonymisiert die Geschäftsbücher, Aufzeichnungen und sonstigen Unterlagen der Kanzlei, die für die von der Kanzlei im Zusammenhang mit den Rechtsstreitigkeiten erhaltenen Zahlungen und Bankkonten, auf denen diese Zahlungen verwahrt werden, relevant sind, zur Verfügung."

Die Verfügungsbeklagte richtete nicht für jedes im Rahmen des Rahmenvertrags geführte Mandat ein eigenes Konto ein, sondern nutzte für alle Mandate ein Anderkonto bei der A.-Bank X. mit den Endziffern 88 ("Eingangskonto"), auf dem sie alle aus den Mandaten eingehenden Zahlungen verbuchte. Die Zuordnung der Zahlungseingänge zu den einzelnen im Rahmen des Rahmenvertrags übernommenen Mandaten leistete die Verfügungsbeklagte danach allein mithilfe ihrer Buchhaltungssoftware, in welcher für jeden Mandanten Konten eingerichtet waren. Beträge, die nach der von der Verfügungsklägerin vorgenommenen Endabrechnung der Verfügungsbeklagten zustehen sollten, überwies die Verfügungsbeklagte von diesem Konto mit den Endziffern 88 auf ein Konto bei der A.-Bank X. mit den Endziffern 68 ("Kanzleikonto"). Den nach Abrechnung der Verfügungsklägerin zustehenden Betrag überwies die Verfügungsbeklagte auf ein Anderkonto bei der A.-Bank X. mit den Endziffern 39 ("Auszahlungskonto").

Ab dem Jahr 2021 kam es zu Unstimmigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen den Parteien. Die Verfügungsklägerin fühlte sich von der Verfügungsbeklagten nicht mehr ausreichend informiert und vermisste ordnungsgemäße Honorarabrechnungen von deren Seite. Die Verfügungsbeklagte erklärte schließlich mit Schreiben vom 22. November 2021, den Rahmenvertrag mit der Verfügungsklägerin außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund zu kündigen. Im Jahr 2022 führten die Parteien Vergleichsverhandlungen, deren Ziel die einvernehmliche Abrechnung noch offener wechselseitiger Forderungen aus der Vertragsbeziehung war. Im Zuge der Gespräche teilte die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin mit E-Mail vom 9. Juni 2022 mit, im Zusammenhang mit dem Rahmenvertrag vereinnahmte Geldbeträge mit eigenen Ansprüchen verrechnet zu haben:

"[...] wir haben unsere Ansprüche aus den Akten gem. anliegender Exceltabelle [...] mit Ihrem Guthaben auf dem Verrechnungskonto verrechnet. [...] Der verrechnete Gesamtbetrag ergibt sich aus der anliegenden Tabelle."

Mit einem per E-Mail vom 23. Juni 2022 übersandten Schreiben teilte einer der Partner der Verfügungsbeklagten dem Geschäftsführer der Klägerin unter anderem Folgendes mit:

"Vor diesem Hintergrund teilen wir Ihnen mit, dass wir sämtliche Mandate mit B.-Prozessfinanzierungsvertrag gekündigt haben. [...]

Wir verrechnen uns...

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