Leitsatz (amtlich)

1. Fährt ein nachfolgendes Fahrzeug auf ein Fahrzeug auf, das im Begriff ist zu wenden, rechtfertigt die Lebenserfahrung nicht die Annahme, dass ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Wendenden besteht.

2. Die hohen Sorgfaltsanforderungen, die § 9 Abs. 5 StVO an den Wendenden stellt, gelten allerdings dem Wendevorgang als Ganzem. Sie erfassen mithin die Vorbereitung der Richtungsänderung ebenso wie die Richtungsänderung selbst.

3. Wer wenden will, muss auch bezüglich des nachfolgenden Verkehrs höchstmögliche Sorgfalt walten lassen.

 

Normenkette

StVO § 9 Abs. 5

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Urteil vom 23.02.2015; Aktenzeichen 5 O 504/13)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 23.2.2015 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des LG Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wollte der Beklagte zu 2) auf einer zweispurigen Landstraße (Höchstgeschwindigkeit 70 km/h) am Ende einer durchgezogenen Linie zu wenden, um zu einer rückwärtig auf der linken Seite gelegenen Gartenanlage zu gelangen. Der Zeuge J, der mit dem LKW der Klägerin hinter ihm in gleicher Fahrtrichtung unterwegs war, fuhr auf den haltenden PKW des Beklagten auf.

Das LG hat der Klägerin 50 % des geltend gemachten Sachschadens zuerkannt. Der Beklagte habe gegen seine Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO verstoßen. Der Zeuge J. aber habe den nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO vorgeschriebenen Mindestabstand nicht eingehalten. Beide Verursachungs- und Verschuldensanteile seien gleichgewichtig.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die einen Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO in Abrede stellt und auf Abweisung der Klage anträgt. Der Beklagte zu 2) habe sein Fahrzeug (gerade) erst angehalten, um zunächst den Gegenverkehr abzuwarten. Ein Wendemanöver sei weder eingeleitet worden, noch habe es begonnen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Sie erreichen mit ihrem Rechtsmittel nicht die beantragte vollständige Klageabweisung. Ebenso wenig gibt das Berufungsvorbringen Anlass zu einer teilweisen Korrektur der durch das LG ausgesprochenen Haftungsverteilung, derzufolge die Beklagten die Unfallschäden der Klägerin im Umfang von 50 % zu ersetzen haben.

Sie dringen aus mehreren Gründen nicht mit ihrem Einwand durch, dem Unfallgeschehen sei kein durch den Beklagten zu 2. eingeleitetes Wendemanöver vorausgegangen; vielmehr handele es sich um einen gewöhnlichen Auffahrunfall mit der Rechtsfolge einer vollen Haftung der Klägerin.

Das vorkollisionäre Fahrverhalten des Beklagten zu 2. kann aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht auf den Beginn eines einfachen (Links)Abbiegens im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 StVO reduziert werden. Erstinstanzlich war unstreitig, dass dem Unfallgeschehen ein Fahrverhalten des Beklagten zu 2. vorausgegangen war, im Zuge dessen er nach Maßgabe des § 9 Abs. 5 StVO wenden wollte, um zu einem auf der anderen Straßenseite der L 239 (Blyth-Valley-Ring) gelegenen Gartengelände zu gelangen. Im Zusammenhang mit der Vorbereitung dieses Fahrmanövers durch Geschwindigkeitsreduzierung und Linkseinordnen ist dann der durch den Zeugen XXX gesteuerte Lastkraftwagen der Klägerin gegen das Heck des durch den Beklagten zu 2. zum Wenden vorbereitete Pkw Daewoo geprallt. Ganz abgesehen davon, dass sich dieser Sachverhalt bereits aus der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte ergibt, hat er auch eine Bestätigung durch das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme mittels Zeugenvernehmung gefunden.

Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils enthalten zwar keine Feststellungen dazu, aufgrund welchen konkreten fahrlässigen Fehlverhaltens der Beklagte zu 2. gegen seine strengen Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO verstoßen hat. Insbesondere bleibt offen, ob das LG sich insoweit - unzulässigerweise (Senat Urteil vom 23.06.2015 - 1 U 107/14) - auf eine Anscheinsbeweiswirkung zu Lasten des Beklagten zu 2. hat stützen wollen. Im Ergebnis kommt es indes auf die Frage hier nicht an. Denn ein Wendeverschulden ergibt sich zwangsläufig aus dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme.

Nach den insoweit nicht angefochtenen Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils steht darüber hinaus fest, dass der Zeuge XXX als Fahrer des Lastkraftwagens der Klägerin durch die Nichteinhaltung des gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO vorgeschriebenen Mindestabstandes ebenfalls schuldhaft zu der Entstehung des Auffahrunfalles beigetragen hat. Dieses Auffahrverschulden rechtfertigt jedoch weder die seitens der Beklagten beantragte vollständige Abweisung, noch gibt sie Anlass, die durch das LG ausgesprochene Haftungsverteilung zugunsten der Beklagten zu verschieben. Es steht außer Zweifel, dass die Bekla...

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