Leitsatz (amtlich)
1. Ein Bauträgervertrag kann - entsprechend § 314 ZPO - außerordentlich gekündigt werden, wenn eine Partei der anderen einen wichtigen Grund zur Kündigung gibt, insbesondere wenn sie schwerwiegend vertragsuntreu wird.
2. Ein wichtiger Grund liegt für die außerordentliche Kündigung eines Bauträgervertrages auf Seiten des Bauträgers vor, wenn ihm unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Bauträgervertrages bis zur vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann.
3. Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Bauherrn ist dafür weder erforderlich noch ausreichend. Eigenes Verschulden des Bauträgers schließt sein Kündigungsrecht nur dann aus, wenn er die Störung des Vertrauensverhältnisses überwiegend verursacht hat. Erforderlich ist eine umfassende Würdigung aller Umstände unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Bauträgervertrages und eines durch Ratenzahlung etwaig bereits entstandenen Anwartschaftsrechts des Bauherrn.
4. Eine verbotene Eigenmacht des Bauherrn (Auswechseln des Objektschlosses unter Aussperrung des Bauträgers ohne dauerhafte Bereitstellung eines Schlüssels/Gewährung des weiteren Zutritts zum Objekt nur nach Gutdünken des Bauherrn) kann - unter Berücksichtigung der vertraglichen Abreden im Einzelfall - eine fristlose Kündigung des Bauträgervertrages insbesondere dann rechtfertigen, wenn sie sich zugleich als eklatanter und wiederholter Verstoß des Bauherrn gegen die bauvertragliche Kooperationspflicht darstellt.
5. Zeitlich dem Kündigungssachverhalt nachfolgende Vorfälle sind in die gem. § 314 BGB gebotene Gesamtwürdigung einzubeziehen und daraufhin zu prüfen, ob der Bauträger seine Recht zur fristlosen Kündigung des Bauträgervertrages dadurch verloren bzw. verwirkt hat bzw. sich die fristlose Kündigung im Nachhinein als unzulässige Rechtsausübung i.S.v. § 242 BGB darstellt.
Verfahrensgang
LG Kleve (Urteil vom 25.01.2011; Aktenzeichen 3 O 341/09) |
BGH (Aktenzeichen VII ZR 70/12) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Kleve vom 25.1.2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Beklagte nimmt die Klägerin im Rahmen einer Widerklage auf Übereignung und Fertigstellung bzw. Mängelbeseitigung im Rahmen eines Bauträgervertrages über die Errichtung eines Einfamilienhauses in X - Zug um Zug gegen Zahlung weiterer Raten i.H.v. 49.076,13 EUR - in Anspruch. Die Zahlungsklage i.H.v. 33.685,28 EUR hat die Klägerin vor der mündlichen Verhandlung in erster Instanz zurückgenommen. Wegen weiterer Einzelheiten wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Das LG hat die Widerklage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die zulässige Widerklage sei unbegründet. Ein Anspruch auf Übertragung des Grundstücks bestehe nicht, da die Klägerin den notariellen Bauträgervertrag vom 3.11.2008 mit Schreiben vom 11.8.2010 wirksam außerordentlich gekündigt habe. Die entsprechende Anwendung von § 314 BGB oder die Heranziehung dessen Rechtsgrundsätze führe hier zum gleichen Ergebnis. Die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses sei unzumutbar gewesen. Es habe aufgrund der besonderen Situation ausnahmsweise keiner Abmahnung bedurft, da vom Beklagten trotz anwaltlicher Beratung und mit der Gegenseite geführter Gespräche über den Zugang zum Haus wiederholt verbotene Eigenmacht ausgeübt worden sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, zu deren Begründung er unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen vorträgt:
Die Klägerin habe den Notarvertrag zu keinem Zeitpunkt wirksam gekündigt.
Es sei bereits zweifelhaft, ob auf einen Bauträgervertrag § 314 BGB direkte oder analoge Anwendung finden könne. Die theoretischen Ausführungen im angefochtenen Urteil bezögen sich primär auf den hier nicht vorliegenden Fall einer Kündigung durch den Auftraggeber, für den § 8 Abs. 2 VOB/B bzw. § 649 BGB sachgerechte Abwicklungsregelungen vorsähen. Für den hier vorliegenden Fall der Kündigung durch den Auftragnehmer sei die Anwendung der §§ 346 ff. BGB sachgerechter. Eine Auslegung der Kündigung als Rücktritt scheide aus, da es sich bei dem Kündigungsschreiben der Klägerin um ein Anwaltsschreiben handele und erkennbar kein Rücktritt gewollt gewesen sei. Nach dem Wortlaut von Nr. 9 des Notarvertrages, wonach lediglich das gesetzliche Rücktrittsrecht Anwendung finden solle, sei eine Kündigung schon a priori nicht möglich.
Jedenfalls liege der für eine außerordentliche Kündigung notwendige wichtige Grund nicht vor. Die erforderliche umfassende Interessenabwägung habe ...