Leitsatz (amtlich)
Die Versagung einer Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft kann erst erfolgen, wenn eine für eine Entschädigungsregelung erforderliche verfahrensabschließende Entscheidung vorliegt. Die Einstellung des Verfahrens nach § 206 a StPO wegen fehlenden Eröffnungsbeschlusses stellt eine solche Entscheidung nicht dar.
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Aktenzeichen 38 Js 69.242/98-23 Ls-6 Ns) |
Gründe
Gegen den früheren Angeklagten, der am 3. 2. 2005 festgenommen worden war und sich seitdem in Untersuchungshaft befand, wurde durch Urteil des Amtsgerichts Offenbach vom 14. 7. 2005 wegen gemeinschaftlich begangenen Betruges eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr 3 Monaten verhängt. Auf die Berufung des früheren Angeklagten wurden die Akten dem Landgericht Darmstadt übersandt. Der Vorsitzende der zuständigen Strafkammer stellte nach Durchsicht der Akten fest, dass das Verfahren gegen den Angeklagten "..." nicht eröffnet worden war. Durch Beschluss des Landgerichts vom 4. 11. 2005 wurde daraufhin der Haftbefehl des Amtsgerichts Offenbach vom 30. 5. 2000 aufgehoben und der frühere Angeklagte aus der Untersuchungshaft in dieser Sache entlassen. Durch Beschluss vom 2. 12. 2005 stellte das Landgericht das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß § 206 a StPO ein, da der fehlende Eröffnungsbeschluss in der Berufungsinstanz nicht mehr nachgeholt werden könne. Weiterhin stellte es fest, dass der Angeklagte für die erlittene Untersuchungshaft nicht zu entschädigen sei. Eine Entschädigung sei gemäß § 5 Abs. 2 StrEG ausgeschlossen, da der Angeklagte den Erlass des Haftbefehls und den Vollzug der Untersuchungshaft durch seine Flucht nach O1 zumindest grob fahrlässig herbeigeführt habe. Die Strafkammer hat davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen. Der frühere Angeklagte wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die Versagung einer Entschädigung sowie die Kostenentscheidung.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 8 Abs. 3 StrEG sowie § 464 Abs. 3 StPO statthaft. Die Beschränkung des § 464 Abs. 3 S. 1 2. Halbs. StPO gilt nicht, wenn gegen die Hauptentscheidung als solche - hier die Einstellung gemäß § 206 a StPO- ein Rechtsmittel statthaft ist, dieses einem Prozessbeteiligten - hier dem früheren Angeklagten - mangels Beschwer aber nicht zusteht ( Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage, § 464 RdNr. 19; OLG Bamberg, Beschl. v. 11. 1. 2006, Ws 971/05, zitiert nach juris).
Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Die Versagung einer Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft war aufzuheben, da es an der für eine Entschädigungsregelung erforderlichen verfahrensabschließenden Entscheidung ( § 8 Abs. 1 Satz 3 StrEG) fehlt. Die erfolgte Einstellung des Verfahrens nach § 206 a StPO wegen des fehlenden Eröffnungsbeschlusses stellt eine solche abschließende Entscheidung nicht dar. Der Eröffnungsbeschluss kann, jedenfalls wenn wie hier Verfolgungsverjährung noch nicht eingetreten ist, in einem neuen Verfahren nachgeholt werden ( Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, § 260 RdNr. 48), so dass eine Verurteilung des Beschwerdeführers weiterhin in Betracht kommt. Sollte eine Freiheitsstrafe ausgesprochen werden, wäre die erlittene Untersuchungshaft gemäß § 51 Abs. 1 StGB auf die ausgeworfene Strafe anzurechnen. Erst nach rechtskräftiger Urteilsfällung steht mithin fest, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine (überschießende) Untersuchungshaft vorhanden ist, für die eine Entschädigung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz möglich wäre ( vgl. Senat, Beschluss vom 4. 3. 1994, MDR 1994, 626 für eine vorläufige Einstellung nach § 154, 154 b StPO). Nur wenn das Hindernis durch Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht mehr behebbar sein sollte, käme der Einstellung des Verfahrens eine abschließende Wirkung zu. Für eine Entscheidung über eine Versagung der Entschädigung ist daher zur Zeit kein Raum, so dass der angefochtene Beschluss insoweit aufzuheben war.
Auch die Kostenentscheidung konnte keinen Bestand haben. Die gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Ziffer 2 StPO vorzunehmende Abwägung führt dazu, dass die dem früheren Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen nach 467 Abs. 1 StPO der Staatskasse zu Last fallen. Das Verfahrenshindernis beruht auf einem Verfahrensfehler des Amtsgerichts und nicht auf einem dem früheren Angeklagten vorzuwerfenden Verhalten ( Karlsruher Kommentar, a. a. O., § 467 RdNr. 10 b ; OLG Bamberg, a. a. O.; OLG München, StV 1988, 71 ). Im übrigen kommt auch eine Verurteilung des Beschwerdeführers mit der Auferlegung seiner notwendigen Auslagen in einem neuen Verfahren in Betracht, so dass es unbillig erscheint, ihn wegen eines ihm nicht anzulastenden Verfahrensfehlers im vorliegenden Verfahren doppelt mit seinen notwendigen Auslagen zu belasten.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO in entsprechender Anwendung.
Fundstellen
Haufe-Index 2573307 |
NStZ-RR 2006, 159 |