Entscheidungsstichwort (Thema)

Anhörungsvorschriften nach §§ 159 ff. FamFG für Verfahren nach § 1674 BGB zwingend

 

Normenkette

BGB §§ 1673-1674; FamFG §§ 159, § 159 ff., § 160 Abs. 1 S. 1, Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Offenbach (Beschluss vom 02.09.2014; Aktenzeichen 318 F 291/14)

 

Tenor

Der Beschluss des AG Offenbach 2.9.2014 wird aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung in der Sache, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das AG Offenbach zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 3.000 EUR.

 

Gründe

Die gem. § 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde führt insoweit zum Erfolg, als die angefochtene Entscheidung, die Anordnung des Ruhens der elterlichen Sorge des Beteiligten zu 2 und Kindesvaters abzulehnen, aufzuheben und das Verfahren an das AG zurückzuverweisen war.

Das von dem funktionell zuständigen Rechtspfleger des AG geführte Verfahren leidet an mehreren wesentlichen Mängeln, die auf Antrag der Beschwerdeführerin gem. § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG zur Zurückverweisung führen.

Das AG hat offenkundig übersehen, dass auch für ein Verfahren betreffend die Anordnung des Ruhens der elterlichen Sorge nach § 1674 BGB, also einer Kindschaftssache nach § 151 Nr. 1 FamFG, die Anhörungsvorschriften nach §§ 159 ff. FamFG zwingend zu beachten sind.

In erster Instanz ist jedoch verfahrensfehlerhaft sowohl die persönliche Anhörung der Eltern nach § 160 FamFG als auch die der beiden betroffenen Kinder nach § 159 FamFG unterblieben.

Gemäß § 159 Abs. 1 FamFG sind Kinder über 14 Jahre zwingend anzuhören, nach Abs. 2 FamFG ist ein Kind, wenn es das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist. Von einer solchen persönlichen Anhörung darf das Familiengericht nach Abs. 3 S. 1 nur aus schwerwiegenden Gründen absehen. Will das Gericht von der Anhörung absehen, müssen die tragenden Gründe der Entscheidung dargelegt werden, was jedoch nicht erfolgt ist.

Gemäß § 160 Abs. 1 S. 1 FamFG soll das Gericht in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, auch die Eltern persönlich anhören. Der Begriff "soll" ist nicht dahin auszulegen, dass das Familiengericht nach freiem Ermessen von einer Anhörung absehen darf (Keidel/Engelhardt, § 160 FamFG Rz. 3). Von der Anhörung darf vielmehr nach Abs. 3 nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden. Solche Gründe sind weder dargelegt, noch liegen sie tatsächlich vor. Vorliegend hat schon der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG es zwingend erforderlich gemacht, dass sich der Rechtspfleger vor seiner zu treffenden Entscheidung selbst ein Bild vom Gesundheitszustand des Kindesvaters macht, um beurteilen zu können, ob dieser infolge seiner Erkrankung an der Ausübung der elterlichen Mitsorge im Rechtsinne gehindert ist.

Schließlich hat das AG es auch unterlassen, vor seiner Entscheidung das zuständige Jugendamt nach Maßgabe von § 162 FamFG anzuhören und auf sein Recht zur Beteiligung am Verfahren hinzuweisen. Auch wurde dem Jugendamt noch nicht einmal die Endentscheidung mitgeteilt.

Mit Rücksicht darauf, dass das erstinstanzliche Verfahren an mehreren erheblichen Verfahrensmängeln leidet, ist das Verfahren auf Antrag der Beschwerdeführerin an das AG zurückzuverweisen. Andernfalls wäre eine umfangreiche oder aufwendige Beweiserhebung durch den Senat als Beschwerdegericht notwendig. Sowohl die unterbliebenen Kindesanhörungen (OLG Hamm FamRZ 2012, 725; OLG Saarbrücken NJW 2011, 2306) als auch die unterbliebene Anhörung beider Eltern (OLG Brandenburg BeckRS 2014, 07026; OLG Naumburg BeckRS 2011, 29333) sowie die unterbliebene Anhörung des Jugendamts (BGH NJW 1987, 1024; Keidel/Engelhardt § 162 FamFG Rz. 7) können für sich schon die Zurückverweisung eines Verfahrens an das Ausgangsgericht rechtfertigen. Dies gilt erst recht, wenn sich die unterbliebenen Anhörungen wie hier kumulieren und sich hinsichtlich des Kindesvaters darüber hinaus die Notwendigkeit einer Anhörung in Nordhessen ergeben dürfte.

Dem AG ist daher Gelegenheit zu geben, die von ihm unterlassenen Anhörungen nachzuholen.

In der Sache weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass auch die materielle Rechtslage jedenfalls zu den Voraussetzungen von § 1674 BGB vom AG verkannt worden ist. Körperliche oder geistige Erkrankungen unterhalb der Schwelle von § 1673 BGB können durchaus ein tatsächliches Hindernis zur Ausübung des elterlichen Sorgerechts i.S.d. § 1674 BGB begründen (Palandt/Götz § 1674 BGB Rz. 1). Ob, wie das AG meint, hier ein Zweifelsfall vorliegt, obwohl der betroffene Kindesvater sein Einverständnis zum Ruhen seines Sorgerechts in Aussicht gestellt hat, wird sich erst nach persönlicher Anhörung und ggf. weiteren erforderlichen Ermittlungen, wie der Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, beurteilen lassen.

Der Beschwerdewert war nach §§ 40, 42 Abs. 2 FamGKG festzusetzen, wobei hier eine Orientierung am Regelwert von § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG ...

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