Entscheidungsstichwort (Thema)

Willkürlichkeit einer Verweisung nach § 281 ZPO ohne sie tragenden Verweisungsantrag des Klägers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO setzt - im Unterschied zu Entscheidungen nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO - nicht die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte voraus.

2. Ein Verweisungsbeschluss ist jedenfalls dann willkürlich und nicht nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindend, wenn das verweisende Gericht sich des Antragserfordernisses bewusst gewesen ist, den nur hilfsweise für den Fall einer Zuständigkeitsrüge des Beklagten gestellten Verweisungsantrag als bedingten Antrag erkannt und trotz offensichtlichen Nichteintritts der Bedingung eine Verweisung ausgesprochen hat, weil eine rügelose Einlassung im schriftlichen Vorverfahren nicht möglich sei (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 11.7.1990 - XII ARZ 26/90, juris).

 

Normenkette

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281 Abs. 2 S. 4

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 03.08.2022; Aktenzeichen 3-13 O 36/22)

LG Rottweil (Beschluss vom 14.09.2022; Aktenzeichen 5 O 31/22 KfH)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Sache wird unter Aufhebung des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Frankfurt am Main vom 03.08.2022, 3-13 O 36/22, an das Landgericht Frankfurt am Main zurückgegeben, das erneut über die Frage der Zuständigkeit zu entscheiden hat.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem Multimodaltransportvertrag über einen Transport von Österreich in die Vereinigten Staaten von Amerika in Anspruch. Sie hat ihre Klage zum Landgericht Frankfurt am Main, Kammer für Handelssachen, erhoben. Mit Verfügung vom 11.07.2022, Bl. 10 f. d.A., hat der Vorsitzende der 13. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main das schriftliche Vorverfahren angeordnet und auf Bedenken hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit hingewiesen. Es scheine nach Nr. 30.3 ADSp 2017 eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Rottweil zu bestehen, weil der Auftrag nach Anlage K2 wohl an die Niederlassung Stadt1 der Beklagten gerichtet gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 13.07.2022, Bl. 19 d.A., hat die Klägerin für den Fall, dass die Beklagte sich "nicht rigoros" (gemeint: nicht rügelos) einlasse, hilfsweise die Verweisung an das Landgericht Rottweil beantragt. Mit Schriftsatz vom 20.07.2022, Bl. 21 f. d.A., hat die Beklagte Verteidigungsabsicht angezeigt und Anträge und Begründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.

Mit Beschluss von 03.08.2022, Bl. 24 f. d.A. hat sich das Landgericht Frankfurt am Main für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Rottweil verwiesen. Zum hilfsweisen Verweisungsantrag hat es ausgeführt, § 39 ZPO finde im schriftlichen Vorverfahren keine Anwendung.

Mit Schriftsatz vom 11.08.2022, Bl. 39 ff. d.A., hat die Beklagte sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt vom 20.07.2022 eingelegt und auf die Klage erwidert. Sie hat ausgeführt, die Beklagte sei nicht passivlegitimiert, weil der Vertrag nicht mit ihr, sondern mit ihrer US-Schwester zustandegekommen sei. Deshalb sei das "angerufene Gericht" örtlich unzuständig, zuständig sei der United States District Court for the Southern District of New York.

Mit Beschluss vom 14.09.2022 hat das Landgericht Rottweil, Kammer für Handelssachen, den Rechtsstreit an das Landgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen. Es ist davon ausgegangen, der Verweisungsbeschluss sei, wegen einer - auch von der Beklagten gerügten - Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht bindend, die es aus der Gestaltung des auf die Verfügung des Vorsitzenden der 13. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt vom 11.07.2022 erstellten Schreibens an die Beklagte hergeleitet hat.

Mit Beschluss vom 20.09.2022, Bl. 69 ff. d.A., hat der Vorsitzende der 13. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt eine (Rück-) Übernahme abgelehnt und die Sache dem Senat zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt. Gegen diesen Beschluss hat die Beklagte (erneut) mit Schriftsatz vom 05.10.2022, Bl. 94 ff. d.A., sofortige Beschwerde eingelegt, der das Landgericht Frankfurt mit Beschluss vom 07.10.2022, Bl. 98 f. d.A., nicht abgeholfen hat.

Im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren macht die Beklagte geltend, das Landgericht Rottweil habe die Bindungswirkung zu Recht verneint. Sie meint allerdings, eine Bestimmung durch den Senat setze die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte voraus, an der es fehle. Es bestehe "kein Konflikt mit der örtlichen Zuständigkeit", die internationale Zuständigkeit stehe in Abrede (Schriftsatz vom 05.10.2022, Bl. 82 f. d.A.). Die Klägerin hält demgegenüber das Landgericht Rottweil für international und örtlich zuständig.

II. Der Senat befindet mit diesem Beschluss über die Vorlage zur Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Die Beschwerden der Beklagten werden mit gesondertem Beschluss beschieden.

III. Die Sache ist unter Aufhebung des Verweisungsbeschlusses ...

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