Leitsatz (amtlich)
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (DVBl 2003, 185), wonach die Strafbarkeit nach § 92 I Nr. 1 AuslG ausscheidet, wenn der Strafrichter in eigenständiger Prüfung zum Ergebnis gelangt, der Angeklagte habe im Tatzeitraum - auch unbeschadet der Stellung eines Antrages - einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung gehabt, ist auf die Frage einer Strafbarkeit nach § 92 II Nr. 1 b und gem. § 92 I Nr. 2 AuslG zu übertragen.
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 28.11.2002; Aktenzeichen 5/24 - 3540 AR 203950/02 NS) |
Tenor
Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten durch Urteil vom 04.09.2002 wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz kostenpflichtig zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte rechtzeitig Berufung eingelegt und diese in der Berufungshauptverhandlung auf das Strafmaß beschränkt.
Das Berufungsgericht hat damit folgenden Sachverhalt als rechtskräftig festgestellt:
"Der Angeklagte ist abgelehnter Asylbewerber. Er wurde am 30.09.1993 mit unbefristeter Wirkung aus dem Bundesgebiet abgeschoben. Letztmals war er bis zum 11.03.2002 im Besitz einer Duldung. Nach Ablauf dieser Duldung verblieb er in der Zeit vom 12.03.2002 bis zu seiner letztmaligen Festnahme am 14.07.2002 im Bundesgebiet, ohne über eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung und ohne über einen gültigen nationalen Pass oder Ausweisersatz zu verfügen. Er unternahm keinerlei Anstrengungen mehr, seinen ausländerrechtlichen Status zu legalisieren.
Es steht damit rechtskräftig fest, dass der Angeklagte sich durch sein Verhalten des unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet nach erfolgter Abschiebung gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 b Ausländergesetz schuldig gemacht hat. Beide Vergehen stehen gemäß § 52 StGB im Verhältnis der Tateinheit zueinander."
Das Berufungsgericht hat sodann in der Berufungsinstanz folgende Feststellungen getroffen:
"Der 27 Jahre alte ledige Angeklagte wurde in Algerien mit 6 Jahren eingeschult und besuchte ab dem 10. Lebensjahr etwa 5 Jahre lang die algerische Kadettenschule. Während der Zugehörigkeit der Armee absolvierte der Angeklagte seine Friseurlehre. Der Vater des Angeklagten war ebenfalls Armeeangehöriger.
Nachdem seine Eltern und zwei seiner Geschwister von Islamisten ermordet worden waren, wurde dem Angeklagten von Offizieren im Hinblick auf seine eigene Gefährdung nahe gelegt, die Armee ebenfalls zu verlassen.
Etwa im Jahre 1990 begab sich der Angeklagte illegal nach Italien, wo er sich etwa 2 Jahre aufhielt und "schwarz" arbeitete. Anschließend ging er über Frankreich nach Deutschland, wo er sich seitdem im Wesentlichen aufhält.
Der Angeklagte hat eine deutsche Verlobte, die in ...... , .....straße .., wohnt. Eine Heirat scheiterte bisher an dem Umstand, dass der Angeklagte nicht über Identitätspapiere verfügt.
Seitens des Regierungspräsidiums Stuttgart ist dem Angeklagten eine Duldung auf Grund Passlosigkeit in Aussicht gestellt worden. Die Einzelheiten hinsichtlich der zu erteilenden Auflagen sind noch abzuklären.
Der Angeklagte ist wie folgt vorbestraft:
Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Rastatt vom 03.11.1993 (6 Cs 88/93) wurde er wegen Diebstahls einer Jacke im Wert von 79,00 DM zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 10,00 DM verurteilt.
Durch Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 22.12.1997 (11 Js 45277.9/97) wurde er wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz in zwei Fällen sowie wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 15,00 DM verurteilt. Er hatte sich in der Zeit vom 01.01.1995 bis zum 14.04.1997 und in der Zeit vom 07.11.1997 bis zum 04.12.1997 als Algerier in der Bundesrepublik Deutschland ohne gültige Aufenthaltserlaubnis oder Duldung und ohne gültigen nationalen Pass aufgehalten und hatte sich am 14.04.1997 in Frankfurt am Main mit einem durch Lichtbildaustausch gefälschten französischen Studentenausweis ausgewiesen.
Durch Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 06.07.1998 (11 Js 12986.2/98) wurde er wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 15,00 DM verurteilt. Er hatte sich als Algerier nach erfolgter Abschiebung ohne im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Duldung und eines gültigen nationalen Passes zu sein in dem Zeitraum vom 13.02.1998 bis zum 12.04.1998 in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten.
Durch Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 6.11.98 (84 Js 37661.5/98) wurde der Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 15,00 DM verurteilt. Er hatte sich vom 01.08.1998 bis zum 30.10.1998 als Algerier in der Bundesrepublik Deutschland nach seiner Abschiebung aufgehalten, ohne eine Aufenthaltserlaubnis oder Duldung oder einen gültigen nationalen Pass zu...