Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine bindende Ausübung des Wahlrechts im Mahnverfahren bei späterer Änderungen der örtlichen Zuständigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Ergibt sich erst nach Angabe des zuständigen Streitgerichts im Mahnbescheidsantrag eine Änderung der Vertretungsregelung der Beklagten (hier: der Autobahn GmbH des Bundes) und der hieran anknüpfenden örtlichen Zuständigkeit (hier: § 18 Abs. 1 VOB/B, § 18 ZPO), ist der Kläger nicht an die Ausübung seines Wahlrechts im Mahnbescheidsantrag gebunden.

 

Normenkette

VOB/B § 18 Abs. 1; ZPO §§ 18, 35

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Beschluss vom 30.03.2022; Aktenzeichen 7 O 122/21)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar

Das Landgericht Berlin wird als das zuständige Gericht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bestimmt.

 

Gründe

I. Die Klägerin, eine Bau-ARGE, wurde von der Bundesrepublik Deutschland, damals vertreten durch die obere Straßenbaubehörde Hessen Mobil mit Sitz in Wiesbaden, beauftragt, Baumaßnahmen durchzuführen.

Die Klägerin beantragte am 16.12.2020 beim Amtsgericht Stuttgart einen Mahnbescheid gegen die Beklagte wegen Zinsrückständen/ Verzugszinsen und gab als Prozessgericht, an das der Rechtsstreit im Fall des Widerspruchs abzugeben sei, das Landgericht Wiesbaden an. Der Mahnbescheid wurde der Beklagten am 19.12.2020 zugestellt, am 22.12.2020 erhob die Beklagte Widerspruch. Unter dem 4.1.2021 und 5.1.2021 (Bl. 24 d.A.) teilte die Klägerin dem Mahngericht mit, vorerst noch keinen Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens stellen zu wollen. Mit Schriftsatz vom 16.6.2021 (Bl. 32 d.A.) beantragte die Klägerin sodann die Durchführung des streitigen Verfahrens. Die Akten gingen am 28.6.2021 bei dem Landgericht Wiesbaden ein (Bl. 38 d.A.).

Am 19.7.2021 beantragte die Klägerin beim Landgericht Wiesbaden die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Berlin (Bl. 41 ff. d.A.). Zur Begründung führte sie aus, dass die Beklagte zwar im Zeitpunkt der Auftragserteilung durch die obere Straßenbaubehörde Hessen Mobil mit Sitz in Wiesbaden vertreten worden sei, weshalb das Landgericht Wiesbaden als Sitz der vertretungsberechtigten Behörde zunächst zuständig gewesen sei. Dies habe sich aus § 18 Abs. 1 VOB/B ergeben, wenn man annähme, dass die Klägerin bei Ausführung des Bauvorhabens eine OHG gewesen sei, oder gemäß § 18 ZPO. Ab dem 1.1.2021 werde die Beklagte nicht mehr durch die obere Straßenbaubehörde Hessen Mobil, sondern durch die Autobahn GmbH vertreten, die ihren Sitz im Bezirk des Landgerichts Berlin habe. Das Landgericht Wiesbaden sei auch nicht als Gericht des Erfüllungsorts zuständig, da das maßgeblich beauftragte Bauwerk sich im Bezirk des Landgerichts Kassel befinde. Der Unzuständigkeit des Landgerichts Wiesbaden stehe auch nicht § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO entgegen, da die Änderung der örtlichen Zuständigkeit aufgrund der geänderten Vertretungsregelung ab dem 1.1.2021 und damit noch vor Rechtshängigkeit des hiesigen Verfahrens erfolgt sei. Die Rechtshängigkeit sei nicht gemäß § 696 Abs. 3 ZPO mit Zustellung des Mahnbescheids eingetreten, da die Abgabe des Verfahrens nicht alsbald erfolgt sei. Zudem sei für § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht auf den fiktiven Eintritt der Rechtshängigkeit gemäß § 696 Abs. 3 ZPO, sondern den Zeitpunkt des Eingangs der Akten beim Empfangsgericht abzustellen.

Das Landgericht Wiesbaden übersandte den Schriftsatz der Klägerin an die Beklagte mit der Gelegenheit zur Stellungnahme von drei Wochen (Bl. 51 d.A.). Die Frist wurde auf Antrag der Beklagten zum 10.9.2021 verlängert (Bl. 61 d.A.). In dieser Frist machte die Beklagte geltend, das Landgericht Wiesbaden sei zuständig. Die Parteien hätten gemäß § 18 Abs. 1 VOB/B bei Vertragsschluss das Landgericht Wiesbaden als das ausschließlich zuständige Gericht bestimmt. Die Zuständigkeit des Landgerichts Wiesbaden ergebe sich zudem aus § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, da Rechtshängigkeit mit Zustellung des Mahnbescheids gemäß § 696 Abs. 3 ZPO vor Änderung der Vertretung der Beklagten eingetreten sei.

Zu diesem Schriftsatz nahm die Klägerin unter dem 4.10.2021 Stellung (Bl. 76-80 d.A.): Es komme nicht darauf an, ob § 18 VOB/B Anwendung finde, was vorliegend zu verneinen sein dürfe, da die Voraussetzungen des § 38 ZPO, vorliegend die Kaufmannseigenschaft der Klägerin, fraglich sei, da es sich um eine Bau-ARGE handele. Sollte § 18 VOB/B gelten, richte sich der Gerichtsstand nach dem Sitz der vertretungsbefugten Stelle, wobei auf den Sitz im Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen sei. Die Zuständigkeit des Landgerichts Wiesbaden ergebe sich, wie bereits dargelegt, auch nicht aus § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO.

Die Beklagte führte hierzu in der zweimalig verlängerten Stellungnahmefrist unter dem 3.12.2021 aus (Bl. 98 ff. d.A.), das Landgericht Wiesbaden sei zuständig, da die Klägerin in vollem Bewusstsein des Wechsels der für die Prozessvertretung zuständigen Stelle am 16.6.2021 beim Mahngericht die Abgabe zum Landgericht Wiesbaden beantragt und hiermit eine bindende Gerichtsstandswahl getroffen habe. Sie, die Beklagte,...

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