Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus Gründen der Prozessökonomie kann es in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein, einen erstmalig nach Erlass des Nichtabhilfebeschlusses hilfsweise vor dem Nachlassgericht gestellten Erbscheinantrag im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

2. Zur Auslegung der Formulierung "dass uns Beiden etwas zustoßen sollte" in einem gemeinschaftlichen Testament.

 

Normenkette

BGB §§ 2353, 2265; FamFG § 352

 

Verfahrensgang

AG Gelnhausen (Beschluss vom 22.07.2014; Aktenzeichen 35 VI 1/14)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des AG Gelnhausen vom 22.7.2014 unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen abgeändert.

Die Tatsachen, die zur Erteilung des hilfsweise vom Beteiligten zu 2) beantragten Erbscheins, der - unter Beachtung der angeordneten Testamentsvollstreckung - ihn als Erben zu 1/3 und den Beteiligten zu 3) als Erben zu 2/3 ausweist, erforderlich sind, werden für festgestellt erachtet. Das AG wird angewiesen, den hilfsweise vom Beteiligten zu 2) beantragten Erbschein zu erteilen und den zugunsten des Beteiligten zu 1) erteilten Alleinerbschein einzuziehen.

Die sofortige Wirksamkeit des Feststellungsbeschlusses und die Erteilung des Erbscheins werden bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt.

Die gerichtlichen Kosten des Einziehungsverfahrens und des erstinstanzlichen Erbscheinverfahrens trägt der Beteiligte zu 2).

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Beteiligte zu 1) und der Beteiligte zu 2) jeweils zur Hälfte.

Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet weder in erster noch in zweiter Instanz statt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 430.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die in Stadt1 am ... 2013 verstorbene Erblasserin war mit dem am ... 2011 vorverstorbenen A verheiratet. Aus der Ehe gingen keine Kinder hervor. Die Eltern der Erblasserin sind ebenfalls vorverstorben. Bei dem Beteiligten zu 1) handelt es sich um den einzigen Bruder der Erblasserin. Die Beteiligten zu 9) und 10) sind dessen Töchter. Die Beteiligten zu 7) und 8) sind Nichten der Erblasserin, der Beteiligte zu 3) ist der Ehemann der Beteiligten zu 8). Bei den Beteiligten zu 4) bis 6) sowie der Beteiligten zu 8) handelt es sich um Nichten des vorverstorbenen Ehemanns der Erblasserin. Der Beteiligte zu 2) ist dessen Neffe.

Am ... 1971 errichteten die Erblasserin und ihr Ehemann ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und es dem jeweils Längstlebenden ausdrücklich überließen, nach dem Tod des Erstverstorbenen frei zu verfügen, wobei hinsichtlich des Inhalts des Testaments im Einzelnen auf Bl. 14 d.A. verwiesen wird. Etwa 15 Jahre später am ... 1986 verfasste der vorverstorbene Ehemann der Erblasserin ein weiteres Testament, in dem er verfügte, dass sein Ackergrundstück nach seinem Ableben in den Besitz des Beteiligten zu 2) übergehen solle. Schließlich trafen die Eheleute am ... 2006 für den Fall, "dass uns Beiden etwas zustoßen sollte", umfangreiche Verfügungen zugunsten der oben genannten Beteiligten (Bl. 16 f. d.A.). Hiernach sollten alle Beteiligten außer dem Ehemann der Beteiligten zu 8) jeweils Geldbeträge zwischen 10.000 und 30.000 EUR erhalten, eine Lebensversicherung sollten die Beteiligten 3), 9) und 10) jeweils zu einem Drittel bekommen. Das gemeinsame Haus sollte dem Beteiligten zu 3) zukommen und der Beteiligte zu 2) sollte zusätzlich zu einem Ackergrundstück noch einen etwaigen Rest erhalten. Zudem bestimmten die Eheleute ausdrücklich, dass für den Fall, dass nur einem von ihnen etwas zustoße, das gemeinsame Testament vom ... 1971 volle Gültigkeit habe.

Unmittelbar nach dem Tod des Ehemanns am ... 2012 wurde mit Beschluss des AG Schlüchtern vom 16.12.2012 eine vorläufige Betreuung für die Erblasserin eingerichtet, die unter anderem die Vermögenssorge erfasste (vgl. Bl. 9 d.A.). Die mit vorgenanntem Beschluss bestellte Betreuerin beantragte aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom ... 1971 zugunsten der Erblasserin einen Alleinerbschein nach ihrem Ehemann, den das Nachlassgericht antragsgemäß erteilte.

Am ... 2013 verstarb sodann die damals weiterhin unter Betreuung stehende Erblasserin. Hiernach hat der Beteiligte zu 1) einen Alleinerbschein zu seinen Gunsten nach dem Erbe der Erblasserin beantragt (Bl. 68 f. d.A.). Zur Begründung berief er sich auf die gesetzliche Erbfolge und führte aus, das Testament der Eheleute vom ... 2006 stehe dem nicht entgegen, da es nur für den nicht eingetretenen Fall des gleichzeitigen Ablebens der Eheleute errichtet worden sei. Das Nachlassgericht erteilte am 4.2.2014 antragsgemäß den Alleinerbschein zugunsten des Beteiligten zu 1).

Am 27.5.2014 hat sodann der Beteiligte zu 2) einen Erbschein zugunsten des Beteiligten zu 3) und zu seinen eigenen Gunsten im Verhältnis 2/3 zu 1/3 beantragt (Bl. 108 ff. d.A.). Zur Begründung hat er sich auf das Testament der Eheleute vom...

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