Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschneidung eines noch nicht einwilligungsfähigen Kindes auf Veranlassung des nicht sorgeberechtigten Vaters
Leitsatz (amtlich)
Veranlasst der nicht sorgeberechtigter Vater ohne Zustimmung der sorgeberechtigten Mutter die Beschneidung eines noch nicht einwilligungsfähigen Kindes, so liegt darin eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Kindes, die schon wegen der Genugtuungsfunktion einen Schmerzensgeldanspruch des Kindes begründet.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1; GG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 1 O 822/06) |
Gründe
I. Der am ... 1993 geborene Antragsteller beantragt, vertreten durch seine Mutter, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er den Antragsgegner zu 2), seinen Vater, wegen seiner im zwölften Lebensjahr veranlassten Beschneidung auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in vorgestellter Höhe von 10.000 EUR Anspruch nehmen will.
Der Antragsgegner zu 2) ist streng gläubiger Moslem und von der Mutter des Antragstellers geschieden. Der Antragsteller wohnte bei der Mutter, die auch das alleinige Sorgerecht für ihn hat. Die Herbstferien des Jahres 2005 verbrachte der Antragsteller beim Antragsgegner zu 2).
Aufgrund eines Befundes des Kinderarztes Dr. A, wonach der Antragsteller an einer Vorhautverengung (Phimose) leide, überwies der Antragsgegner zu 1) am 15.9.2005 den Antragsteller an das ambulante Operations-Zentrum O1. Der dortige Anästhesist lehnte wegen einer chronischen Epilepsieerkrankung des Antragstellers eine ambulante Narkose ab. Der Antragsgegner zu 1) überwies darauf hin den Antragsteller an das Klinikum der Stadt O1 zur Weiterbehandlung. Der Antragsgegner zu 2) suchte mit dem Antragsteller am 28. oder 29.9.2005 das Klinikum auf, damit dieses eine Beschneidung der Vorhaut vornehme. Das Klinikum teilte nach Untersuchung mit Schreiben vom 29.9.2005 der Allgemeinen Ortskrankenkasse mit, dass eine medizinische Notwendigkeit für den Eingriff nicht vorliege. Der Eingriff einer nicht medizinisch indizierten Beschneidung (Circumcision) könne aber als privat zu bezahlende Leistung vorgenommen werden. Der Antragsgegner zu 2) suchte sodann mit dem Antragsteller einen - nicht näher bekannten - niedergelassenen Arzt auf, der die Beschneidung irgendwann zwischen dem 17.10. und dem 28.10.2005 (Herbstferien) vornahm.
Auf die vor dem Eingriff gestellte Frage des Antragsgegners zu 2), ob er einverstanden sei, erklärte der Antragsteller "notgedrungen" sein Einverständnis.
Die Mutter des Antragstellers, die nicht Muslima ist, erfuhr von der Beschneidung erst nachträglich. Zwischen ihr und dem Antragsgegner zu 2) war es in der Vergangenheit häufig zu Auseinandersetzungen wegen der vom Antragsgegner zu 2) gewünschten Beschneidung des Antragstellers gekommen, die die Mutter ablehnte.
Der Antragsteller befindet sich derzeit wegen einer akuten psychischen Erkrankung in der Kinderpsychiatrie und kann zu Einzelheiten von seiner Mutter nicht befragt werden. Wann der Antragsteller genesen wird, ist nicht absehbar.
Der Antragsteller hat vorgetragen, er sei nicht muslimisch erzogen worden und habe sich damals noch nicht entschieden, ob und was er im religiösen Sinne glaube. Von der Tradition der Beschneidung bei den Muslimen habe er grundsätzlich gewusst. Er sei ein ausgesprochen labiles und in seiner Entwicklung verzögertes Kind. Es habe ihm unter diesen Umständen damals die Einwilligungsfähigkeit für den Eingriff gefehlt.
Der Antragsteller hat vorgetragen, er werde Zeit seines Lebens unter seiner durch die Beschneidung verursachten Andersartigkeit zu leiden haben. Dies gelte besonders im Hinblick auf die Zeit seiner bevorstehenden Pubertät, wenn er ohnehin Probleme mit der Veränderung seines Körpers haben werde, und weil er befürchten müsse, von Gleichaltrigen verspottet zu werden.
Der Antragsgegner zu 2) hat zu dem Prozesskostenhilfeantrag keine Stellung genommen.
Das LG hat die begehrte Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht verweigert. Wegen der näheren Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses vom 2.2.2007 verwiesen.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, mit der er den Antrag im Hinblick auf die Klage gegen den Antragsgegner zu 2) weiterverfolgt.
Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dies damit begründet, dass die Beschneidung von Jungen im muslimischen Lebens- und Kulturkreis sozialadäquat sei, und darüber hinaus nicht erkennbar sei, wieso der Antragsteller nicht die Einsichtsfähigkeit besessen habe.
II. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist in der Sache begründet, weil für die von dem Antragsteller beabsichtigte Klage gegen den Antragsgegner zu 2) eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht.
1. Dem Antragsteller steht nach dem vorgetragenen Streitverhältnis gegen den Antragsgegner zu 2) dem Grunde nach ein Anspruch Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus den §§ 823 Ab...