Leitsatz (amtlich)
1. Die minderjährige Mutter ist beschwerdebefugt, wenn durch eine Entscheidung des Familiengerichts in ihre (nach § 1673 Abs. 2 Satz 2 BGB teilweise ruhende) elterliche Sorge eingegriffen wird (hier durch Übertragung der Alleinsorge auf den volljährigen Vater).
2. Die minderjährige Mutter besitzt die für einen Antrag auf Einräumung der Mitsorge des Vaters (§ 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB) erforderliche Verfahrensfähigkeit.
3. Im Falle einer dem Vater mit Einwilligung der Personenberechtigten der minderjährigen Mutter von dieser erteilten Sorgerechtsvollmacht hat die Übertragung der Alleinsorge auf den volljährigen Vater trotz einer im Übrigen fehlenden Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern zu unterbleiben, wenn die Bevollmächtigung des Vaters durch die Mutter zur Folge hat, dass das Kindeswohl durch den elterlichen Konflikt nicht (mehr) beeinträchtigt wird.
Normenkette
BGB §§ 1626a, 1673 Abs. 2 S. 2; FamFG §§ 9, 60
Verfahrensgang
AG Alsfeld (Aktenzeichen 22 F 276/22) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Dem Vater wird die Mitsorge für das betroffene Kind X, geb. am ..., übertragen. Dies hat zur Folge, dass der Vater die Vermögenssorge und die rechtsgeschäftliche Vertretung des Kindes bis zum Eintritt der Mutter in die Volljährigkeit am ... alleine ausübt und dass beide Kindeseltern die elterliche Sorge im Übrigen gemeinsam ausüben.
Der Antrag des Vaters auf Übertragung der Alleinsorge wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des zweiten Rechtszugs werden beiden Eltern je hälftig auferlegt. Von der Anordnung einer Kostenerstattung der Beteiligten untereinander wird für den zweiten Rechtszug abgesehen. Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszugs bleibt es bei der Kostenentscheidung im angefochtenen Beschluss.
Der Verfahrenswert wird für den zweiten Rechtszug festgesetzt auf 4.000,- Euro.
Gründe
I. Die beteiligten Eltern streiten über die elterliche Sorge für ihr gemeinsames Kind X.
Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts wird auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Diese sind dahingehend zu ergänzen, dass die elterliche Sorge für die noch minderjährige Mutter des betroffenen Kindes von ihren Eltern gemeinsam ausgeübt wird. Die elterliche Sorge für das hier betroffene Kind X wurde bis zum Erlass des angefochtenen Beschlusses mit den sich aus § 1673 Abs. 2 Satz 3 BGB ergebenden Ausübungsbeschränkungen vom beteiligten Jugendamt als Vormund ausgeübt.
Nach vorangegangener Inobhutnahme des zunächst mit der Mutter im Haushalt seiner Urgroßeltern mütterlicherseits lebenden Kindes übertrug das Familiengericht dem Vater mit dem angefochtenen Beschluss auf dessen Antrag hin - gestützt auf § 1671 Abs. 2 BGB - die elterliche Sorge zur alleinigen Ausübung. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die selbst noch minderjährige Mutter habe bislang nur eine unzureichende Bindung zu dem Kind aufbauen können und habe die Betreuung und Versorgung des Kindes weitgehend ihren Großeltern überlassen. Sie selbst sei psychisch instabil und sei nach der Inobhutnahme des Kindes nachts unter Drogen- und Alkoholeinfluss von der Polizei aufgegriffen worden. In der Familie der Mutter komme es immer wieder zu Konflikten, die teilweise gewalttätig ausgetragen würden. Der Mutter und ihren Großeltern sei es nicht gelungen, eine Scabies-Infektion des Kindes nachhaltig zu behandeln. Der Vater sei zwar ebenfalls noch sehr jung und habe bislang ebenfalls keine sichere Bindung zu seiner Tochter aufbauen können. Es sei jedoch davon auszugehen, dass ihm dies gelingen werde, sobald das Kind bei ihm lebe. Er habe trotz seines jugendlichen Alters bereits für sich selbst Verantwortung übernommen, eine Ausbildung absolviert und habe eine Festanstellung. Er wolle Elternzeit nehmen und werde von seinen Eltern unterstützt. Auch Hilfe des Jugendamts nehme er an und habe gut mit dem Amtsvormund zusammengearbeitet. Er sei besser als die Mutter geeignet, die dringend nötige Bindung des Kindes an eine Hauptbezugsperson sicherzustellen, das Kind zu versorgen und es in seiner Entwicklung zu fördern. Eine gemeinsame elterliche Sorge komme auch in Teilbereichen wegen der zwischen den Eltern bestehenden Spannungen nicht in Betracht. Auf Grund der Äußerungen der Mutter könne nicht erwartet werden, dass Vater und Mutter in wichtigen Belangen des Kindes künftig zusammenarbeiten könnten.
Auf den Inhalt des Beschlusses vom 9.8.2022, die Sitzungsniederschrift vom 5.8.2022 und die Berichte des Jugendamts vom 15.6.2022 und des Verfahrensbeistands vom 3.8.2022 wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Das Kind lebt seit dem 11.8.2022 im Haushalt seines im Haus seiner Eltern lebenden Vaters. Dieser befindet sich bis mindestens Februar 2023 in Elternzeit und bezieht - nachdem die Mutter zwischenzeitlich die erforderliche Mitwirkung erbracht hat - Elterngeld und Unterhaltsvorschuss. X ist inzwischen auch wieder gesetzlich krankenversichert, wegen der fehlenden Ko...