Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerb eines Dieselfahrzeugs: Deliktische Haftung des Fahrzeugherstellers bei Verwendung eines Thermofensters
Leitsatz (amtlich)
Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im Aufgabenbereich des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
Normenkette
BGB § 826; Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Art. 5
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 05.08.2020; Aktenzeichen 2-16 O 17/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 5. August 2020 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits im Berufungsrechtszug zu tragen.
3. Das angefochtene Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
4. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gesamten vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer angeblich unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
Der Kläger erwarb im April 2013 von der A GmbH einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Personenkraftwagen der Marke Mercedes-Benz, Typ C 220 CDI T, mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... zum Kaufpreis von EUR 25.400,00. Damals wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 38.700 km auf. Es ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet und unterliegt keinem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Abgasreinigung erfolgt über die Abgasrückführung (AGR), bei der ein Teil der Abgase zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt wird und dort erneut an der Verbrennung teilnimmt. Bei kühleren Temperaturen wird die Abgasrückführung zurückgefahren ("Thermofenster"), wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Außen-/Ladelufttemperaturen dies der Fall ist.
Der Kläger hat behauptet, die Beklagte habe das Thermofenster in Form einer verbotenen Abschaltvorrichtung exakt auf die Prüfbedingungen im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) abgestimmt und so im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens unter Vorspiegelung der Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte die EG-Übereinstimmungsbescheinigung und die damit einhergehende Betriebserlaubnis erlangt.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke Mercedes Benz mit der Fahrgestellnummer ... an die Klagepartei den Kaufpreis in Höhe von EUR 25.400,00 abzüglich eines in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Nutzungsentschädigungsbetrages nebst Zinsen (a) in Höhe von 4 % aus EUR 25.400,00 vom 11. April 2013 bis zum 1. August 2019 sowie (b) in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus EUR 18.068,49 seit dem 2. August 2019 zu zahlen,
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziff. 1 in Annahmeverzug befindet, und
3. die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von den Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von EUR 1.100,51 freizustellen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird ergänzend Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei unbegründet. Zur Begründung hat das Landgericht u. a. ausgeführt, das Verwenden einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei durch den Kläger nicht schlüssig dargelegt worden. Selbst wenn die im Fahrzeug vorhandene Steuerung als unzulässige Abschalteinrichtung zu werten sein sollte, könne jedenfalls nicht von einem entsprechenden deliktischen Vorsatz auf Seiten der Beklagten ausgegangen werden.
Wegen der näheren Einzelheiten der Begründung wird auf das angegriffene Urteil vom 5. August 2020 (Bl. 355 ff. d. A.) verwiesen.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 18. August 2020 (Bl. 374 d. A.) zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem hier am 14. September 2020 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage Berufung eingelegt (Bl. 377 d. A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 11. November 2020 (Bl. 384 d. A.) mit Anwaltsschriftsatz vom 11. November 2020 begründet, der hier per beA noch am selben Tage eingegangen ist (Bl. 399 ff. d. A.).
Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Rechtsschutzziele - mit Ausnahme eines Teils des erstinstanzlichen Zinsantrags - weiter.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er seinen erstinstanzlichen Vortrag. Es sei von einer "Prüfstandserkennung anhand bestimmter Parameter des NEFZ-Prüfzyklus" auszugehen. Zudem gebe es Rückrufe des Kraftf...