Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltsverzicht durch Anwalt
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Wirksamkeit eines Unterhaltsverzichts durch den Anwalt.
Normenkette
BGB § 1614; ZPO § 80
Verfahrensgang
AG Kassel (Aktenzeichen 520 F 2194/07 UK) |
Gründe
I. Der Kläger ist der Vater der am 30.8.1988 geborenen Beklagten. Unter dem 26.2.2001 verpflichtete er sich zur Zahlung von Kindesunterhalt für die Beklagte und errichtete eine entsprechende Jugendamtsurkunde, in der er sich der Vollstreckung unterwarf. Im August 2006 zahlte der Kläger letztmalig Unterhalt gemäß dieser Urkunde. Die Beklagte beauftragte deswegen in Begleitung ihrer Mutter, der Zeugin Z1, am 11.9.2006 Rechtsanwalt RA1 mit der Wahrnehmung ihrer Interessen; der Umfang der Beauftragung ist im Einzelnen streitig. Die Beklagte unterzeichnete jedenfalls an diesem Tag für die Mandatierung Herrn Rechtsanwalt RA1 eine Vollmacht. Als Gegenstand des Mandats ist hier "Volljährigenunterhalt" vermerkt. Die formularmäßige Vollmacht führt unter den Befugnissen, die sie dem Bevollmächtigten verleiht, u.a. das Recht auf, den Rechtsstreit oder außergerichtliche Verhandlungen durch Vergleich oder Anerkenntnis zu erledigen (Bl. 137 d.A.).
Der Kläger schrieb anwaltlich vertreten am 3.11.2006 die Beklagte direkt an und teilte mit, dass er zur Zahlung von Kindesunterhalt aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei. Er forderte die Beklagte dazu auf, auf die Rechte aus der Jugendamtsurkunde zu verzichten. Die Beklagte gab dieses Schreiben an Rechtsanwalt RA1 weiter, der sich ggü. der Bevollmächtigten des Klägers legitimierte. Die Parteien führten sodann einige Korrespondenz, in der Rechtsanwalt RA1 wiederholt angab, dass eine Verzichtserklärung durch die Beklagte nur nach gründlicher Prüfung der Leistungsfähigkeit erfolgen könne. Er bat ausdrücklich darum, vorerst keine Abänderungsklage zu erheben, und sicherte zu, bis zur Klärung keine Vollstreckung aus der Urkunde zu betreiben.
Am 14.5.2007 schrieb der Kläger Rechtsanwalt RA1 erneut an und drohte nunmehr Abänderungsklage an, falls nicht bis zum 18.5.2007 die Verzichtserklärung vorgelegt und die Urkunde herausgegeben werde. Unter dem 29.5.2007 richtete Rechtsanwalt RA1 an die Bevollmächtigte des Klägers ein Schreiben folgenden Inhalts:
"Hiermit erkläre ich namens und in Vollmacht meiner Mandantin, dass diese auf die Geltendmachung ihrer Rechte in Bezug auf die erstellte Unterhaltsurkunde des Jugendamts verzichtet."
Unter dem 31.5.2007 teilte Rechtsanwalt RA1 sodann mit, dass die Beklagte telefonisch erklärt habe, mit einem Verzicht nicht einverstanden zu sein; er nehme daher den Verzicht zurück. Am 5.6.2007 teilte die Bevollmächtigte des Klägers mit, dass der Verzicht angenommen werde. Da der Widerruf weder vor noch gleichzeitig mit dem Schreiben vom 29.5.2007 zugegangen sei, halte sie den Widerruf für unwirksam und daher für unerheblich. Die Beklagte, die das Mandatsverhältnis zu Rechtsanwalt RA1 zwischenzeitlich gekündigt hatte, behauptete dagegen, dieser sei nicht befugt gewesen, einen Verzicht auszusprechen. Dazu legte sie ein Schreiben des Rechtsanwalts RA1 vor, in dem dieser mitteilte, zum Verzicht nicht bevollmächtigt gewesen zu sein. Sie gab den Titel trotz Aufforderung nicht an den Kläger heraus.
Der Kläger erhob daher Vollstreckungsgegenklage, auf die das AG mit Urteil vom 14.11.2007, auf das zur weiteren Sachverhaltsdarstellung Bezug genommen wird, die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Titel festgestellt und die Herausgabe des Titels angeordnet hat.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie behauptet nach wie vor, Rechtsanwalt RA1 sei nicht dazu bevollmächtigt gewesen, die streitige Verzichtserklärung abzugeben. Dies habe er mit Schreiben vom 23.7.2007 (Bl. 28 d.A.) auch bestätigt. Rechtsanwalt RA1 sei zunächst beauftragt gewesen, die Unterhaltsansprüche der Beklagten aus der Urkunde im Wege der Vollstreckung durchzusetzen. Dies sei ein gänzlich anderes Geschäft als die Verteidigung gegen das Verzichtsverlangen des Klägers und führe regelmäßig auch dazu, dass unterschiedliche Akten angelegt werden müssten. Schon deswegen könne der Wortlaut der zunächst unterschriebenen Vollmacht nicht dazu führen, dass von einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung ausgegangen werden könne. Das Verhalten des Anwalts, sich außerhalb der Befugnisse zu halten und nicht durch Vollmachten gedeckte Erklärungen abzugeben, sei auch nicht unüblich. Denn Rechtsanwalt RA1 habe möglicherweise in irriger Annahme der Leistungsunfähigkeit so gehandelt, um weitere Kosten zu meiden, für die die Beklagte eventuell hätte einstehen müssen. Die fehlende Bevollmächtigung des Rechtsanwalts ergebe sich auch daraus, dass er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe. Dieses verhalten sei nur erklärbar, wenn Rechtsanwalt RA1 Schaden von sich abzuwenden wolle, was wiederum nur im Fall eines nicht autorisierten Verzichts der Fall sei. Ein Unterhaltsverzicht für die Zukunft sei im Übrigen gem. § 1614 BGB...