Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabe von kostenlosen Arzneimittelmustern an Apotheker
Leitsatz (amtlich)
In der kostenlosen Abgabe von 100-Gramm-Tuben eines Schmerzmittels an Apotheker mit der Aufschrift "Zu Demonstrationszwecken" kann dann kein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HWG gesehen werden, wenn es sich um eine Zuwendung von geringem Wert handelte und nicht die Gefahr der Weitergabe der Packung an den Endverbraucher besteht sowie an jeden Apotheker nur eine einzige Gratispackung zur Eigenerprobung ausgehändigt wurde (hier bejaht).
Normenkette
AMG § 47 Abs. 3; HWG § 7 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 30.07.2015; Aktenzeichen 2-03 O 473/14) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30.7.2015 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt teilweise abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die kostenlose Abgabe von Arzneimittelmustern.
Die Klägerin stellt her und vertreibt das Arzneimittel "Schmerzmittel1" mit dem Wirkstoff "A". Die Beklagte vertreibt das apothekenpflichtige Arzneimittel "Schmerzmittel2" zu einem Apothekenabgabepreis von 9,97 EUR. Es handelt sich um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Im Jahr 2013 gaben Außendienstmitarbeiter der Beklagten Verkaufspackungen der Größe N2 (100 g) dieses Arzneimittels kostenlos an Apotheken ab, die mit der Aufschrift "Zu Demonstrationszwecken" wie nachfolgend eingeblendet versehen waren:
((Abbildung))
Die Klägerin sieht darin einen Verstoß gegen die Bestimmung des § 47 Abs. 3 AMG, nach der eine Abgabe von Mustern eines Fertigarzneimittels an Apotheken nicht gestattet sei. Außerdem liege eine gemäß § 7 Abs. 1 HWG unzulässige Gewährung von Werbegaben vor.
Das Landgericht hat die Beklagte auf Antrag der Klägerin unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, es zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Arzneimittel "Schmerzmittel2" in der Packungsgröße N2 mit der Aufschrift "Zu Demonstrationszwecken" kostenlos an Apotheker abzugeben und/oder abgeben zu lassen.
Die Berufung der Beklagten ist (zunächst) ohne Erfolg geblieben (OLG Frankfurt am Main, GRUR-RR 2017, 30). Der Senat hat den Unterlassungsantrag als gemäß §§ 3, 3a, 8 Abs. 1 UWG in Verbindung mit § 47 Abs. 3 AMG begründet erachtet und insoweit die Revision zugelassen.
Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Auslegung des durch § 47 Abs. 3 AMG umgesetzten Art. 96 der RL 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH hat am 11.6.2020 entschieden, Art. 96 Abs. 1 der Richtlinie sei dahin auszulegen, dass diese Bestimmung der Abgabe von Gratismustern nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Apotheker nicht entgegensteht (EuGH GRUR 2020, 764 - ratiopharm).
Mit Urteil vom 17.12.2020 hat der BGH daraufhin die Entscheidung des Senats aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 17.12.2020 - I ZR 235/16 - Apothekenmuster II).
Im neuen Berufungsrechtszug haben die Parteien ergänzend vorgetragen.
Die Beklagte trägt vor, die Produkte hätten der Erprobung durch den Apotheker selbst, nicht der Weitergabe an Kunden gedient. Die Außendienstmitarbeiter, die im Jahr 2013 Verkaufspackungen des Produkts "Schmerzmittel2" (100 g) mit der Aufschrift "zu Demonstrationszwecken" kostenlos an Apotheken abgegeben haben, seien angewiesen gewesen, die Tuben zu öffnen, um die Qualität des Produkts zu demonstrieren. Im Jahr 2013 seien 120, im Jahr 2021 noch einmal 80 Stück als Demonstrationsmuster verbucht und verwendet worden. Der Außendienst habe 2013 aus 78 Mitarbeitern bestanden, die für über 20.000 Apotheken zuständig gewesen seien. Lediglich in einem einzigen Fall sei es zur Abgabe einer ungeöffneten Demonstrationspackung an den Apotheker gekommen, wobei es sich um einen "Ausreißer" handele. Überhaupt sei nur jeweils eine Tube überlassen worden. Der Apotheken-Einkaufspreis der abgegebenen Produkte habe 2013 bei 5,34 EUR gelegen. Die Beklagte ist der Auffassung, die Weitergabe einer geöffneten Packung oder einer geschlossenen Packung mit der Aufschrift "Zu Demonstrationszwecken" an Apothekenkunden sei unrealistisch.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (Az.: 2-03 O 473/14) abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin ist der Auffassung, die von der Beklagten erstmals im (ersten) Berufungsrechtszug aufgestellte Behauptung, wonac...