Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrsunfall: Grob verkehrswidriges Verhalten beim Überholen
Leitsatz (amtlich)
Ein Linksabbieger kann von der Verpflichtung zur sog. zweiten Rückschau enthoben sein, wenn ein Linksüberholen im Besonderen Maß verkehrswidrig wäre und aus diesem Grund so fernliegt, dass sich der nach links Abbiegende auch unter Berücksichtigung der ihn treffenden gesteigerten Sorgfaltspflicht auf eine solche Möglichkeit nicht einzustellen braucht.
Normenkette
StVO § 5 Abs. 3, § 9 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 04.05.2016; Aktenzeichen 4 O 475/15) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Hanau vom 4.5.2016 in der berichtigten Fassung vom 30.5.2016 wird (Az.: 4 O 475/15) zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil und das vorgenannte Urteil des LG sind vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 5.335,12,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch um die Verteilung der Haftungsquoten aus einem Verkehrsunfall, der sich am ... 2014 gegen 20.30 Uhr in Stadt1 auf der Straße1 in Höhe der Einfahrt zu der Firma A ereignet hat. Die Beklagte zu 1. war zunächst mit ihrem bei der Beklagten zu 2. versicherten Kraftfahrzeug von dem in der Nähe liegenden B-Parkplatz auf die Straße1 Richtung Stadt1 aufgefahren. Sie beabsichtigte im weiteren Straßenverlauf nach links auf den Parkplatz der Firma A einzubiegen. Wegen der örtlichen Verhältnisse nimmt der Senat auf die von den Beklagten im Termin vorgelegten und als Anlage 1 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.8.2015 genommenen Fotos, Bl. 59 bis 61 d.A. Bezug. Sie verlangsamte ihre Fahrt auf etwa 20 bis 25 km/h und fuhr in diesem Tempo. Hinter ihr befand sich das Fahrzeug der Zeugen C und D Nachname1. Der Kläger befuhr die Straße1 in gleicher Richtung. Beim Herannahen an das Fahrzeug der Zeugen Nachname1 und der Beklagten zu 1. entschied er sich, diese Fahrzeuge wegen der langsamen Fahrt zu überholen und begann damit nach Ende der durchgezogenen Mittellinie. Er kollidierte im Bereich des Mittelstreifens mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 1., da diese inzwischen mit der Einfahrt in den Parkplatz der Firma A begonnen hatte.
Wegen der in 1. Instanz gestellten Anträge und zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Feststellungen in dem landgerichtlichen Urteil Bezug genommen, soweit ihnen nicht die Feststellung in dem Berufungsurteil entgegenstehen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das LG hat durch Urteil vom 4.5.2016 die Klage abgewiesen. Nach informatorischer Anhörung der Parteien und Beweisaufnahme ist es zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger den Unfall grob verkehrswidrig verursacht habe und ihn die Alleinhaftung für die Unfallschäden treffe. Dabei ist es insgesamt bei der Feststellung des Sachverhaltes dem von den Beklagten geschilderten Unfallhergang gefolgt. Entscheidend war danach, dass der Kläger als Dritter in einer sich nach und nach verlangsamenden Fahrzeugschlange die zwei vor ihm fahrenden Fahrzeuge trotz des dort bestehenden Überholverbots (Verkehrszeichen 276 StVO) und in unklarer Verkehrslage überholt hat. Die Beklagte zu 1. habe - dies entnimmt das Gericht den Angaben der Zeugen Nachname1 - ihre Abbiegeabsicht durch Blinken und die deutliche Verlangsamung der Fahrt angezeigt. Zwar habe die Beklagte zu 1. den zweiten gebotenen Schulterblick unmittelbar vor Einleitung des Richtungswechsels unterlassen, dieses Fehlverhalten trete aber mit Blick auf das grob verkehrswidrige Verhalten des Klägers zurück. Die Beklagte zu 1. habe angesichts der unklaren Verkehrslage nicht mit dem Überholen eines nachfolgenden Fahrzeuges rechnen müssen.
Gegen dieses, dem Kläger in der berichtigten Fassung am 30.5.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9.6.2016 Berufung eingelegt, die er am 13.7.2016 begründet hat. Der Kläger wendet sich gegen die vollständige Abweisung seiner Klage. Er ist der Ansicht, das LG habe rechtsfehlerhaft die Betriebsgefahr auf Seiten der Beklagten nicht haftungserhöhend berücksichtigt, sie habe jedenfalls 1/3 der Mithaftung zu tragen. Schließlich sei zu Unrecht außer Betracht geblieben, dass die Beklagte zu 1. als Abbiegende in ein Grundstück als Linksabbiegerin nach § 9 Abs. 5 StVO eine erhöhte Sorgfaltspflicht treffe. Schließlich habe die Beklagte zu 1. ihre doppelte Rückschaupflicht verletzt, da sie jedenfalls den zweiten Schulterblick unterlassen habe.
Der Kläger beantragt:
Das Urteil des LG Hanau vom 4.5.2016 (Az.: 4 O 475/15) wird aufgehoben und wie folgt abgeändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.335,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 31.3.2015 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten verteidigen die angegriffene Entscheidung.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwi...