Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrssicherungspflicht: Zur Pflicht der Gemeinde, Straßenbäume zu kontrollieren

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Gemeinde kann die Kontrolle der Bäume an Straßen und Gehwegen nach der sog. FLL-Richtlinie organisieren. Die Richtlinie muss aber im Einzelfall richtig angewendet werden.

 

Normenkette

BGB § 823

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 21.10.2020; Aktenzeichen 2-4 O 279/20)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21.10.2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. In der Nacht vom 2. auf den 3.8.2019 hatte die Klägerin ihr Fahrzeug Marke1 Modell1 in der Straße1 in Stadt1 geparkt. Von einer Robinie auf dem Bürgersteig brach ein großer Ast ab und stürzte auf das Fahrzeug, das dadurch einen Totalschaden erlitt. Nach der erstinstanzlichen Behauptung der beklagten Stadt ist der Baum letztmals am 21.8.2018 kontrolliert worden.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 6.528 EUR nebst Zinsen stattgegeben. Es hat festgestellt, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe, weil sie den Baum nur jährlich statt wie erforderlich halbjährlich einmal in belaubtem, einmal in unbelaubtem Zustand kontrolliert habe. Bei rechtzeitiger Vornahme der halbjährlichen Regelkontrolle wäre ein verkehrswidriger Zustand entdeckt worden; dafür spreche eine tatsächliche Vermutung, die die Beklagte nicht erschüttert habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, dass das Landgericht zu Unrecht von einer Vermutung ausgegangen sei. Denn die Beweislast, dass bei einer Kontrolle des Baums der abgebrochene Ast als schadhaft entdeckt worden wäre, treffe die Klägerin. Beweiserleichterungen etwa aufgrund eines typischen Geschehensablaufs kämen ihr dabei nicht zugute. Das Landgericht habe daher ohne Beweisaufnahme nicht feststellen dürfen, dass bei der von der Klägerin für erforderlich gehaltenen Kontrolle der Schaden festgestellt worden wäre. Das Landgericht habe sich auch nicht damit befasst, weshalb eine jährliche Kontrolle nach den FLL-Richtlinien nicht hinreichend gewesen sein sollte. Das Oberlandesgericht Köln (VersR 2010, 1328) habe auf diese Richtlinie Bezug genommen und daraus geschlossen, dass die in älterer Rechtsprechung angenommene Notwendigkeit einer halbjährlichen Kontrolle in belaubtem und unbelaubtem Zustand nach den Erkenntnissen dieser Richtlinie nicht bestehe, sondern bei Bäumen und einer Verkehrssituation wie hier eine jährliche Kontrolle genüge. Nach der Richtlinie komme es auch nicht auf starre Fristen an; es bestehe ein Spielraum, in dem sinnvolle Kontrollintervalle festzusetzen seien, die sich im Einzelfall nach Zustand und Alter des Baums richteten. An dieser Richtlinie orientiere sich die Dienstanweisung der Beklagten für die Baumkontrolle. Der Baum sei im Rahmen von Sonderkontrollen, die nach Sturm- und Gewitterereignissen erfolgten, aber nicht in der Datenbank erfasst würden, am 23.9.2018 und 4.3.2019 überprüft worden; dabei hätten sich Schäden nicht ergeben. Bei einer Regelkontrolle durch visuelle Inaugenscheinnahme vom Boden aus habe die 8 m über dem Boden liegende Schadstelle nicht bemerkt werden können; der abgebrochene Starkast sei belaubt gewesen, die Schadstelle müsse auf der Oberseite gelegen haben. Möglicherweise sei schadensursächlich auch ein unvorhersehbares Windereignis gewesen. Nach der Entfernung von Totholz am 15.7.2016 sei der Baum nicht auffällig gewesen, so dass eine Verkürzung des Kontrollintervalls nicht erforderlich gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21.10.2020 die Klägerin mit der Klage auch insoweit abzuweisen, als ihr das Landgericht stattgegeben hat.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Sie ist der Ansicht, dass nach weiterhin aktueller Rechtsprechung eine Kontrolle zweimal jährlich erfolgen müsse. Außerdem seien auch äußere Einflüsse zu berücksichtigen wie die besondere Trockenheit der Sommer 2018 und 2019 und der Umstand, dass in dem Bereich, in dem es zum Bruch gekommen sei, bereits ein Gefährdungsanzeichen bestanden habe, denn ein anderer Ast sei spärlich belaubt gewesen und habe trockene, bräunliche und verwelkte Blätter aufgewiesen. Daher sei die festgesetzte Kontrolle nach über 14 Monaten nicht ausreichend gewesen. Bei einer hohen berechtigten Sicherheitserwartung, also bei einer vielbefahrenen Straße und der möglichen Gefährdung von Anwohnern, müssten Bäume häufiger kontrolliert werden. Da bereits mehrfach Totholz habe entfernt werden müssen und an der Krone und am Stamm Astwunden und Verletzungen vorhanden gewesen seien, habe eine Kontrolle nach 6 Monaten erfolgen müssen. Dadurch habe der Schaden verhindert werden könn...

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