Entscheidungsstichwort (Thema)
Grob fahrlässige Unfallverursachung bei Umdrehen zu Kind auf der Rückbank
Leitsatz (amtlich)
Ein vollständiges Umdrehen während der Fahrt mit einem Pkw auf der Autobahn im stockenden Verkehr zu einem auf dem rechten Rücksitz befindlichen achtjährigen Kind, das zu einem leichten Auffahren auf ein vorausfahrendes Motorrad führt, ist als grob fahrlässig anzusehen. Dass ein Kraftfahrer die vor ihm befindliche Fahrspur beobachten muss, um möglicherweise in hohem Maße gefährliche Situationen zu vermeiden, stellt eine einfachste ganz naheliegende Überlegung dar.
Normenkette
BGB § 278 S. 1, § 535 Abs. .1, § 546 Abs. 1, § 1902; WBVG § 12
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 08.03.2019; Aktenzeichen 7 O 8/19) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden - 7. Zivilkammer - vom 8.3.2019 (Az.: 7 O 8/19) teilweise abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.426,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.3.2017 zuzüglich 413,90 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Von den Kosten der ersten Instanz haben die Klägerin 1/3 und der Beklagte 2/3 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.426,19 EUR festgesetzt.
Gründe
I. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO:
Der Beklagte mietete bei der Klägerin am 11.9.2016 einen Pkw Marke1 Typ1, amtl. Kennzeichen .... Im Mietvertrag Anlage K1) vereinbarten die Parteien eine Haftungsfreistellung zu Gunsten des Beklagten für selbstverschuldete Unfälle mit einer Selbstbeteiligung von 1.050,- EUR pro Schadenfall. Nach I 2. der in den Mietvertrag einbezogenen Allgemeinen Vermietbedingungen (Anlage K2) ist die Klägerin, sofern der Schaden grob fahrlässig herbeigeführt wurde, berechtigt, ihre Leistungsverpflichtung zur Haftungsfreistellung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen.
Am 14.9.2016 gegen 18:15 Uhr verursachte der Beklagte einen Schaden am Mietfahrzeug. Er befuhr die BAB A ... aus Richtung Stadt1 kommend in Richtung Stadt2. Auf dem Rücksitz des Fahrzeugs befanden sich die beiden damals acht bzw. neun Jahre alten Kinder des Beklagten. In Höhe der Abfahrt Stadt3 wechselte er von der linken auf die rechte Fahrspur. Da er bei seinem zuvor getätigten kurzen Schulterblick wahrgenommen hatte, dass sein rechts hinter ihm sitzender achtjähriger Sohn einen Gegenstand in der Hand hielt, den er zunächst nicht identifizieren konnte, drehte er sich nach Beendigung des Fahrspurwechsels nach hinten zu diesem Kind auf der Rückbank um. Da er hierbei kurzzeitig das Verkehrsgeschehen außer Acht ließ, bremste er nicht mehr rechtzeitig und fuhr auf das etwa mittig vor ihm auf der rechten Spur fahrende Motorrad des Zeugen A auf.
Ausweislich des von der Klägerin eingeholten Eigenschaden-Gutachtens der B GmbH, Stadt4 vom 16.9.2016 nebst Nachtrag vom 22.9.2016 (Anlage K4) betragen die erforderlichen Reparaturkosten 10.026,48 EUR netto sowie die Wertminderung 850,- EUR. Die Kosten des Gutachtens belaufen sich ausweislich der Rechnung vom 16.9.2016 (Anlage K7) auf 45,90 EUR netto. Auf eine Zahlungsaufforderung der Klägerin hin ließ der Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 2.1.2017 (Anlage B1, Blatt 41 f. der Akte) erklären, er werde den Betrag der Selbstbeteiligung nach Erhalt einer ordnungsgemäßen Rechnung über diesen Betrag zahlen. Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage Erstattung der genannten Schadensbeträge nebst einer Auslagenpauschale von 30,- EUR in erster Instanz anteilig in Höhe von 70 % und in der Berufungsinstanz noch in Höhe von 50 %, jeweils abzüglich der von dem Beklagten nach Zustellung des Mahnbescheids am 16.3.2017 am 17.3.2017 gezahlten Betrages der Selbstbeteiligung in Höhe von 1.050,- EUR sowie Erstattung der auf die noch geltend gemachte Forderung entfallenden Rechtsanwaltskosten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird zunächst auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen A und persönlicher Anhörung des Beklagten die Klage durch Urteil vom 8.3.2019, der Klägerin zugestellt am 18.3.2019, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte hafte nicht über die vereinbarte Selbstbeteiligung hinaus, da ihm keine grobe Fahrlässigkeit zur Last falle. Das Verhalten des Beklagten sei als Augenblicksversagen zu werten, zu welchem besondere weitere Umstände nicht hinzukämen. Vielmehr liege in subjektiver Hinsicht gerade kein schweres Verschulden vor, wenn der Beklagte sich, wie er vorgetragen habe, als Vater ohne weitere erwachsene Begleitperson nach einem damals gerade siebenjährigen Kind umdrehte, um abzuklären, dass dieses keinen gefährlichen Gegenstand in der Hand hielte. Dass dem Beklagten schon zuvor klargewesen sei, dass es sich nicht um einen gefährlichen Gegenstand gehande...