Entscheidungsstichwort (Thema)
Zivilprozess/Eilverfahren. Über die dringlichkeitsschädliche Zeitspanne zwischen der Kenntnis und der Einreichung des Verfügungsantrages besteht in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eine unterschiedliche Auffassung. Nach Ansicht des Senats lässt sich eine feste zeitliche Grenze nicht ziehen. Vielmehr ist bei der Beurteilung einer etwaigen Selbstwiderlegung stets auf die maßgeblichen Umstände des Einzelfalls abzustellen, bei der die Ausnutzung bestimmter Fristen ein wesentlicher Gesichtspunkt sein kann, aber nicht stets sein muss (hier: Kenntnis vom sog. "Anreizsystem" im Schienenverkehr).: Einstweilige Verfügung. Verfügungsgrund. Dringlichkeitsvermutung. Anreizsystem. Fehlen des Verfügungsgrundes bei zu langer Zeitspanne zwischen Kenntnis von einem Wettbewerbsverstoß und Einreichung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
Leitsatz (amtlich)
Über die dringlichkeitsschädliche Zeitspanne zwischen der Kenntnis und der Einreichung des Verfügungsantrages besteht in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eine unterschiedliche Auffassung. Nach Ansicht des Senats lässt sich eine feste zeitliche Grenze nicht ziehen. Vielmehr ist bei der Beurteilung einer etwaigen Selbstwiderlegung stets auf die maßgeblichen Umstände des Einzelfalls abzustellen, bei der die Ausnutzung bestimmter Fristen ein wesentlicher Gesichtspunkt sein kann, aber nicht stets sein muss (hier: Kenntnis vom sog. "Anreizsystem" im Schienenverkehr).
Normenkette
UKlaG § 1; ZPO §§ 935, 940
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-2 O 251/07) |
Gründe
Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten hat Erfolg. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet. Der für die Anspruchsdurchsetzung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erforderliche Verfügungsgrund liegt nicht vor.
1) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht zwar davon ausgegangen, dass dem Verfügungskläger im Grundsatz die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG zugute kommt. § 5 UklaG nimmt Bezug auf § 12 Abs. 2 UWG, wonach die in §§ 935, 940 ZPO geregelten Dringlichkeitsvoraussetzungen bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen nicht dargelegt und glaubhaft gemacht werden müssen, die Dringlichkeit insoweit vielmehr vermutet wird.
2) Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist die Dringlichkeitsvermutung vorliegend jedoch widerlegt, weil der Verfügungskläger trotz Kenntnis der Verwendung der - aus seiner Sicht unwirksamen - Allgemeinen Geschäftsbedingungen längere Zeit zugewartet hat, ohne gegen die Verfügungsbeklagte gerichtlich vorzugehen. Die Untätigkeit spricht gegen die Eilbedürftigkeit. Denn damit gibt der Verfügungskläger zu erkennen, dass er selbst die Sache nicht als eilig betrachtet hat (sog. "Selbstwiderlegung", vgl. Köhler in: Hefermehl/Köhler/ Bornkamm, UWG, 26. Aufl. 2008, § 12 Rn. 3.15; Schlingloff in: Münchener Kommentar, Lauterkeitsrecht, §§ 5 - 22 UWG, 2006, § 12 Rn. 387; Retzer in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 2004, § 12 Rn. 304; Piper/Ohly, UWG, 4. Aufl. 2006, § 12 Rn. 113).
a) Über die dringlichkeitsschädliche Zeitspanne zwischen der Kenntnis und der Einreichung des Verfügungsantrages - was also genau eine "längere Zeit" ist - besteht in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eine unterschiedliche Auffassung. Zum Teil werden Regelfristen von einem bis zu drei Monaten befürwortet, zum Teil werden bei besonderer Sachlage auch längere Fristen als hinnehmbar angesehen, ohne dass eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeitsvermutung eintreten soll (vgl. die Einzelnachweise dazu bei Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 12 Rn. 3.15; Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, Stand 27.03.2008, § 12 Rn. 87). Nach Ansicht des Senats lässt sich eine feste zeitliche Grenze nicht ziehen. Vielmehr ist bei der Beurteilung einer etwaigen Selbstwiderlegung stets auf die maßgeblichen Umstände des Einzelfalls abzustellen, bei der die Ausnutzung bestimmter Fristen ein wesentlicher Gesichtspunkt sein kann, aber nicht stets sein muss (ebenso OLG Hamburg, GRUR-RR 2007, 302 [juris Rn. 12]). Unter Abwägung der maßgeblichen Umstände ist die Dringlichkeitsvermutung im Streitfall als widerlegt anzusehen.
b) Dabei kann es dahinstehen, ob - wie das Landgericht angenommen hat - dem Verfügungskläger bis zum Ablauf der Befristung der behördlichen Anordnung zum 09.04.2007 ein triftiger Grund zur Seite stand, eine Antragstellung im einstweiligen Verfügungsverfahren zurückzustellen. Denn jedenfalls danach war eine kurzfristige Reaktion des Verfügungsklägers zu erwarten und geboten, die jedoch nicht erfolgt ist. Dabei ist als maßgeblicher Zeitpunkt für ein Tätigwerden des Verfügungsklägers entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs der Antragsschrift per Fax am 19.07.2007 abzustellen, sondern erst auf den Eingang des Originals am 23.07.2007. Denn dem per Telefax eingereichten Exemplar der Antragsschrift waren die Anlagen, insbesondere die Anlage AS 1, nicht beigefügt. Auf dies...