Leitsatz (amtlich)
1. Bereits der Umstand, dass der Sitzungsleiter einer Hauptversammlung es einem Aktionär verwehrt, vor der Abstimmung über einen Vorschlag der Verwaltung einen mündlichen Gegenantrag zu präsentieren, und ihn stattdessen darauf verweist, seinen Antrag nach der Beschlussfassung zu stellen, begründet einen Verstoß gegen das Rederecht dieses Aktionärs.
2. Der Aktionär kann seine Anfechtungsklage gegen einen Hauptversammlungsbeschluss auch dann auf eine Verletzung seines Rederechts stützen, wenn die Hauptversammlung nachfolgend einen Bestätigungsbeschluss gefasst hat, sofern dieser erfolgreich angefochten wurde. Der zweite Beschluss entfaltet selbst dann keine Bestätigungswirkung, wenn er den Mangel des ersten Beschlusses vermeidet und nur aus anderen Gründen für nichtig erklärt wurde.
3. Die gerichtliche Feststellung, dass ein Hauptversammlungsbeschluss eines bestimmten Inhalts gefasst worden ist, setzt voraus, dass zuvor ein vom Versammlungsleiter dahingehend festgestellter Beschluss, die Hauptversammlung habe einen Beschlussantrag dieses Inhalts abgelehnt, für nichtig erklärt wird.
4. Das Stimmverbot des § 142 I 2 AktG besteht nur insoweit, als die Hauptversammlung über einen zulässigen Sonderprüfungsantrag i.S.d. § 142 I 1 AktG beschließt.
5. Ein auf § 142 I AktG gestützter Antrag auf Sonderprüfung der Geschäftsführung in ihrer Gesamtheit in Bezug auf einen bestimmten Zeitabschnitt ist unzulässig. Ebenfalls unzulässig sein kann ein Sonderprüfungsantrag, der eine Reihe von einzelnen Prüfungsgegenständen benennt, die in ihrem Gesamtbild darauf hinauslaufen, die Geschäftsführung zu weiten Teilen zu überprüfen, und sich als Ausdruck eines unspezifischen Generalverdachts gegen die Verwaltung darstellen.
6. Der Auftrag zu überprüfen, ob der Abschlussprüfer der Gesellschaft einem Ausschlussgrund nach § 319 II - V HGB unterworfen gewesen sei, weil er bei der Aufstellung des Jahresabschlusses beteiligt gewesen sei, kennzeichnet schon mangels Benennung einer bestimmten zu prüfenden Geschäftsführungsmaßnahme keinen zulässigen Gegenstand einer Sonderprüfung i.S.d. § 142 I AktG.
7. Auch der Auftrag zu prüfen, "ob und in welcher Höhe ungeklärte Verluste im Warenbestand" vorliegen, kennzeichnet keinen einer Sonderprüfung nach § 142 I AktG zugänglichen Vorgang bei der Geschäftsführung, soweit der Umstand, dass ungeklärte Verluste existieren, unstreitig ist.
Normenkette
AktG §§ 131, 142 Abs. 1, § 244
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 07.08.2009; Aktenzeichen 417 O 13/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das Urteil des LG Hamburg, Kammer 17 für Handelssachen, vom 7.8.2009 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 2.3.2009 zum Tagesordnungspunkt 2 gefasste Beschluss über die Gewinnverwendung wird für nichtig erklärt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 80 % und die Beklagte zu 20 %. Von den Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger 85 % und die Beklagte 15 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf EUR 75.000 festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch über einen Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 2.3.2009 (Tagesordnungspunkt - TOP - 2) und einen dort abgelehnten Antrag des Klägers auf Sonderprüfung zu den TOP 3 und 4.
Aktionäre der Beklagten sind drei Familienstämme: die Familien A., K. und H.. Der Kläger ist an der Beklagten mit ca. 35 % der Aktien beteiligt und weder im Vorstand noch im Aufsichtsrat vertreten. Weitere Aktionäre sind der Vorstandsvorsitzende T. A. mit ca. 20 % der Aktien sowie der Aufsichtsratsvorsitzende M. K. mit ca. 22,5 % und seine beiden Söhne mit jeweils ca. 11,5 % der Stimmrechte. Das Grundkapital der Gesellschaft beträgt ca. EUR 1 Mio. Die Parteien sind zerstritten und in eine Vielzahl von Gerichtsverfahren verwickelt.
Auf der Hauptversammlung vom 2.3.2009 (Niederschrift: Anlage K2) waren alle Aktionäre vertreten, wobei der Kläger nicht nur persönlich anwesend war, sondern sich i.H.v. jeweils 1.000 Aktien zusätzlich durch Herrn Rechtsanwalt Dr. K. und Herrn A. H. vertreten ließ. Die Beschlüsse zu TOP 2 bis 9 wurden jeweils mit den Stimmen der Aktionäre A. und K., einschließlich der beiden Söhne K., gegen die Stimmen des Klägers und seiner Vertreter angenommen, der vom Kläger zu TOP 3 und 4 (Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrates) gestellte Sonderprüfungsantrag wurde mit umgekehrten Mehrheitsverhältnissen abgelehnt.
Der vorliegend noch streitgegenständliche Beschluss zu TOP 2 (Verwendung des Bilanzgewinns) war auf vollständige Thesaurierun...