Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrzeugkaufvertrag: (Differenz-)Schadenersatzanspruch aufgrund des Verbaus einer Fahrkurvenerkennung und eines Thermofensters

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einem Hersteller kann kein Verschuldensvorwurf gemacht werden, wenn er zum Zeitpunkt des Erwerbs eines Fahrzeugs am 08.03.2019 darauf vertraute, dass die jedenfalls ursprünglich bei EA 288-Fahrzeugen implementierte Fahrkurvenerkennung keine (unzulässige) Abschalteinrichtung darstellte. (Rn. 19)

2. Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat.(Rn. 29)

3. Dass auch bei Fahrzeugen mit EA288-Motoren außerhalb des NEFZ-Prüfstands Emissionswerte oberhalb des gesetzlichen Grenzwertes gemessen wurden, ist keineswegs nur mit dem Vorhandensein einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung zu begründen. (Rn. 39)

4. Kann die Abgasrückführungsrate in einem Temperaturbereich zwischen -24° Celsius und +70° Celsius zu 100 % aktiv bleiben, handelt es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung. (Rn. 44)

 

Normenkette

BGB §§ 31, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV §§ 6, 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5

 

Verfahrensgang

LG Arnsberg (Aktenzeichen 1 O 305/21)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 19. Juli 2022 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Klägerin auferlegt.

Das angefochtene und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1, 544 ZPO abgesehen.

Wegen des Wortlautes der gestellten Anträge wird Bezug genommen auf die zu Protokoll erklärten Anträge aus den Schriftsätzen der Klägerin vom 12.09.2022 (Bl. 46/47 d.A.) und vom 17.08.2023 (Bl. 680/681 d.A.), mit denen sie ihr erstinstanzliches Begehren auf Zahlung von 10.619,77 EUR (Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung auf der Basis einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs) sowie Feststellung des Annahmeverzuges und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.134,55 EUR weiterverfolgt und hilfsweise Ersatz des Differenzschadens in Höhe von mindestens 2.884,50 EUR im Zusammenhang mit einer behaupteten Manipulation eines Diesel-Motors verlangt, und auf den Schriftsatz der Beklagten vom 11.10.2022 (Bl. 122 d.A.), mit dem sie die Zurückweisung der Berufung beantragt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend ausgeführt, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises nicht zusteht. Insbesondere fehlt es für einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB an der Feststellbarkeit eines vorsätzlichen sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten.

Dabei kann dahinstehen, ob die Motorsteuerungssoftware des in dem Fahrzeug verbauten Motors der Baureihe EA 288, für den eine Typengenehmigung der der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt wurde, wie von der Klägerin behauptet unzulässige Abschalteinrichtungen enthält.

Jedenfalls kann im Hinblick auf die bei den EA 288 verwendeten Applikationen eine gegen die guten Sitten verstoßende und auf Schädigung der einzelnen Fahrzeugkäufer abzielende Vorgehensweise der Beklagten - anders als in den Fällen der EA189-Motoren - nicht festgestellt werden.

Dies hat der BGH in der Vergangenheit hinsichtlich der Verwendung eines Thermofensters entschieden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20, juris Rdnr. 25 ff; vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19, juris Rdnr. 17 ff) als auch hinsichtlich der Implementierung einer Fahrkurvenerkennung (BGH, Beschluss vom 21.03.2022 - VIa ZR 334/21, juris Rdnr. 22). Selbst für den Fall, dass das OBD-System eine Grenzwertüberschreitung nicht anzeigen sollte, rechtfertigt dies in der Gesamtbetrachtung nicht den Vorwurf einer gegen die guten Sitten verstoßenden Vorgehensweise (BGH, Urteile vom 23.11.2021 - VI ZR 839/20, juris Rdnr. 20; vom 28.10.2021 - III ZR 261/20, juris Rdnr. 27; Beschluss vom 15.09.2021 - VII ZR 2/21, juris Rdnr. 18).

Da selbst das KBA als zuständige Behörde die bei den EA 288-Motoren verwendeten Applikationen für rechtlich unbedenklich hält, kann bei den für die Beklagte tätigen Personen auch kein Bewusstsein einer evidenten Unzulässigkeit ihres Vorgehens festgestellt werden (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 16.12.2021 - 8 U 42/21, juris Rdnr. 55 ff). Jedenfalls ist vor dem Hintergrund der behördlichen Billigung nicht feststellbar, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schä...

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