Entscheidungsstichwort (Thema)
Geheimhaltung (§ 174 GVG), Prämienanpassung Krankenversicherung: Versicherungsnehmer im Termin durch freien Mitarbeiter der Hauptbevollmächtigten vertreten
Leitsatz (amtlich)
Wird einem Rechtsanwalt, der lediglich freier Mitarbeiter der Hauptbevollmächtigten des Versicherungsnehmers ist, im Prämienanpassungsstreit eine Geheimhaltungsverpflichtung gem. § 174 Abs. 3 GVG auferlegt, genügt dies zur Wahrung der berechtigten Geheimhaltungsbelange des Versicherers nicht.
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 115 O 64/23) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird die durch den Beschluss der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 14.12.2023 (115 O 64/23) angeordnete und mit dem landgerichtlichen Nichtabhilfebeschluss vom 21.02.2024 bestätigte Geheimhaltungsanordnung betreffend Frau Rechtsanwältin W. aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, soweit die klägerischen Prozessbevollmächtigten betreffend, an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis 3.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über Prämienanpassungen. Der Kläger greift diese - auch - in materieller Hinsicht an. Mit Terminsverfügung vom 04.07.2023 hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass es erwäge, in der mündlichen Verhandlung die Übergabe derjenigen kalkulatorischen Unterlagen an die Klägerseite zu veranlassen, die dem Treuhänder zur Prüfung vorlagen. Hierzu erwäge die Kammer die Ausschließung der Öffentlichkeit gem. § 172 Nr. 2 GVG sowie die Auferlegung einer Geheimhaltungsverpflichtung gem. § 174 Abs. 3 GVG. Mit Schriftsatz vom 17.07.2023 hat der Kläger darauf hingewiesen, dass für seine Hauptbevollmächtigten zu 1) ein Unterbevollmächtigter den Termin wahrnehmen werde. Mit Verfügung vom 29.09.2023 hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass es die Anwesenheit eines Hauptbevollmächtigten für notwendig erachte.
Mit Schriftsatz vom 08.11.2023 hat der Kläger eine Vollmacht vom 07.11.2023 vorgelegt, mit der er eine umfassende Prozessvollmacht zu Gunsten seiner weiteren Hauptbevollmächtigten zu 2) vorgelegt hat. Im Verhandlungstermin vom 14.12.2023 erschien - neben dem Kläger persönlich - Frau Rechtsanwältin W., die für die Hauptbevollmächtigte zu 2) als freie Mitarbeiterin tätig ist.
Mit im Verhandlungstermin gefassten Beschluss hat das Landgericht den im nichtöffentlichen Teil der mündlichen Verhandlung anwesenden Personen die Geheimhaltung nach § 174 Abs. 3 GVG hinsichtlich näher bezeichneter Unterlagen auferlegt.
Mit Schriftsatz vom 26.01.2024 hat die Beklagte geltend gemacht, dass Frau Rechtsanwältin W. nicht hätte verpflichtet werden dürfen; die Übergabe der geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen sei deshalb nicht zu vollziehen. Das Landgericht hat dies als sofortige Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss ausgelegt und dieser nicht abgeholfen.
Mit Berichterstatterschreiben vom 04.03.2024 ist mitgeteilt worden, dass und weshalb die sofortige Beschwerde begründet sein dürfte und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger hat hierauf keine weitere Stellungnahme abgegeben.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die als sofortige Beschwerde der Beklagten zu behandelnde Eingabe vom 26.01.2024 ist gemäß §§ 174 Abs. 3 S. 3 GVG, 567 ff. ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere kann die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde geltend machen, dass eine vom Landgericht erlassene Geheimhaltungsanordnung den berechtigten Geheimhaltungsinteressen einer Partei nicht ausreichend Rechnung trägt (so bereits Senatsbeschluss vom 12.07.2023 - 20 W 10/23; siehe demgegenüber zur mangelnden Anfechtbarkeit einer nicht ergangenen Geheimhaltungsanordnung: BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - IV ZB 8/20 -, juris Rn. 9).
2. Die sofortige Beschwerde der Beklagten hat auch in der Sache insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das Landgericht führt (§ 572 Abs. 3 ZPO), damit dieses in dem aus dem Tenor dieser Entscheidung ersichtlichen Umfang erneut über die Anregung der Beklagten, eine Geheimhaltungsverpflichtung auszusprechen, entscheiden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - IV ZB 8/20 -, juris Rn. 25; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. Juni 2021 - 11 W 4/21 -, juris Rn. 6). Die vom Landgericht ausgesprochene Verpflichtung von Frau Rechtsanwältin W. reichte nicht aus, um den berechtigten Geheimhaltungsinteressen der Beklagten Rechnung zu tragen.
a) Bei dem im Tenor des angefochtenen Beschlusses näher bezeichneten Unterlagen der Beklagten, die die Beklagte dem von ihr beauftragten Treuhänder zur Zustimmung zu den von der Klägerseite gerügten Prämienanpassungen überlassen hat, handelt es sich um Betriebsgeheimnisse der Beklagten (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2015, IV ZR 272/15, VersR 2016, 177 ff., Rn. 14), die eine Geheimhaltungsanordnung...