Leitsatz (amtlich)
1. Eine Ehe ist auch dann im Sinne von § 1565 Abs. 1 BGB gescheitert, wenn sich nur ein Ehegatte endgültig abgewandt hat, weil auch dann eine Wiederherstellung nicht zu erwarten ist.
2. Eine psychische Erkrankung rechtfertigt bereits dann nicht die Anwendung der Härteklausel, wenn eine zumutbare und erfolgsversprechende Therapiemöglichkeit besteht.
3. Dies gilt auch dann, wenn aufgrund der dauerhaften Unterbringung des betreffenden Ehegatten in einer Pflegeeinrichtung sichergestellt werden kann, dass auf etwaige Suizidabsichten hin die notwendigen Schritte auch tatsächlich eingeleitet werden können.
Normenkette
BGB § 1565 Abs. 1, § 1568
Verfahrensgang
AG Siegen (Aktenzeichen 15 F 1698/20) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 01.06.2023 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Siegen vom 05.05.2023 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.936,90 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten schlossen am 00.00.1987 die Ehe. Aus ihr sind zwei inzwischen volljährige Kinder hervorgegangen.
Im Jahr 2016 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass sie sich scheiden lassen möchte.
Spätestens seit dem Jahr 2017 lebten die Beteiligten dann innerhalb desselben Hauses getrennt. Der Antragsgegner lebte in einer im Haus schon im Jahre 1993 wohnlich ausgebauten "Bar" und schlief auch dort.
Seit Juni 2019 lebt der Antragsgegner, der jedenfalls seinerzeit schwer alkoholabhängig war, in einer Einrichtung der F. in W.. Im September 2020 wurde ein Betreuer für den Antragsgegner bestellt (GA 10). Mit Beschluss vom 05.03.2021 wurde diese Betreuung auf familienrechtliche Angelegenheiten erstreckt (GA 17).
Ausweislich zweier bei den Akten befindlicher ärztlicher Bescheinigungen leidet er an einer psychiatrischen Erkrankung, nämlich einem sogenannten Korsakow-Syndrom infolge der Alkoholerkrankung (GA 88).
Zu einer Kontaktaufnahme zwischen Antragstellerin und Antragsgegner ist es, seitdem letzterer in der Einrichtung lebt, nicht mehr gekommen.
Mit Schriftsatz vom 17.12.2020 hat die Antragstellerin in der vorliegenden Sache die Scheidung der Ehe und die Durchführung des Versorgungsausgleichs beantragt.
Der Antragsgegner hat sich - über seinen Betreuer - gegen diese Scheidung gewandt. Er macht geltend: Eine Scheidung würde den Antragsgegner, auch infolge seiner Erkrankung, psychisch sehr belasten. Es könne bis hin zu suizidalen Absichten kommen. Bislang könne der Antragsgegner sich selbst dadurch "beruhigen", dass er an seine Familien und an eine "Rückkehr nach Hause" denke. Er verweist in diesem Zusammenhang auf zwei ärztliche Bescheinigungen (GA 66 / 88), aus denen ebenfalls hervorgeht, dass die Gefahr einer möglichen Suizidalität nicht sicher abgeschätzt werden könne. Eigen- und fremdgefährdende Handlungen seien bei einer Konfrontation mit einer (möglichen) Scheidung von der Antragstellerin "nicht unwahrscheinlich" (GA 88).
Durch den angefochtenen Beschluss vom 05.05.2023 hat das Amtsgericht den Scheidungsantrag zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Voraussetzungen für eine Scheidung lägen nicht vor. Die Ehe sei nicht gescheitert. Es könne nicht von einem Getrenntleben ausgegangen werden. Denn die eheliche Lebensgemeinschaft ende nicht schon mit der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft. Die Antragstellerin habe ihren Trennungswillen gegenüber dem Antragsgegner nicht kommuniziert. Soweit sie ihm im Jahr 2016 erklärt habe, sich scheiden lassen zu wollen, habe man dennoch "weiterhin zusammen gelebt und gewirtschaftet". Soweit in der Regel in der Zustellung des Scheidungsantrages eine Kundgabe des Trennungswillens liege, sei hier aber die Besonderheit zu beachten, dass der Antragsgegner - womöglich infolge seiner psychischen Erkrankung - noch immer davon ausgehe, nach Hause zurückkehren zu können. Schließlich würde eine Scheidung im Hinblick auf die mögliche psychische Dekompensation des Antragsgegners auch eine unbillige Härte im Sinne von § 1568 Abs. 1 BGB darstellen.
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht geltend, das Amtsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Antragsgegner keine Kenntnis vom Trennungswillen der Antragstellerin habe. Das Gericht habe seine Annahme, der Antragsgegner "wähne sich noch immer in einer bestehenden Ehe", nicht auf einer ausreichenden Grundlage getroffen. Im Übrigen könne es nicht sein, dass die Antragstellerin sich dauerhaft an der Ehe mit dem Antragsgegner festhalten lassen müsse. Dies aber wäre aus Sicht der Antragstellerin die Konsequenz der vom Amtsgericht vertretenen Rechtsauffassung.
Der Senat hat durch Beschluss vom 29.08.2023 darauf hingewiesen, dass nach seiner Auffassung die Voraussetzungen für eine Scheidung der Ehe vorliegen (GA 240 ff.). Einwendungen dagegen sind von keinem Beteiligten vorgebracht worden.
II. Die statthafte un...