Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerb eines Dieselfahrzeugs mit einem Motor des Typs EA 288: Schadensersatzanspruch wegen der Verwendung einer Fahrkurverkennung und eines Thermofensters

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein auf Erschleichung der Typgenehmigung angelegtes, sittenwidriges Verhalten lässt sich nicht feststellen, wenn davon auszugehen ist, dass der Fahrzeughersteller die Genehmigung auch erhalten hätte, wenn dem KBA die an die Fahrkurverkennung anknüpfende Softwaresteuerung im Genehmigungsverfahren bekannt gewesen wäre. Das Verhalten eines Fahrzeugherstellers, das im Einklang mit der Auffassung einer Bundesoberbehörde steht, kann nicht als sittenwidrig angesehen werden. (Rn. 33)

2. Bei einem Thermofenster handelt es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007, wenn die Abgasrückführung in einem Temperaturbereich von -24°C bis 70 °C zu 100 % aktiv ist. Dass die Abgasrückführung außerhalb dieses Temperaturbereichs abgeschaltet wird, ist nicht zu beanstanden, da niedrigere bzw. höhere Temperaturen keine normalen Betriebsbedingungen im Sinne der Art. 3 Nr. 10; Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 darstellen. (Rn. 49)

 

Normenkette

BGB §§ 31, 826; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 10 O 157/20)

 

Tenor

Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger erhält Gelegenheit, hierzu binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem von ihm angekauften Neufahrzeug geltend.

Die ... oHG erwarb am 22.04.2016 von der ... GmbH das streitgegenständliche Neufahrzeug VW Golf VII 2.0 GTD Variant, 135 kw zu einem Kaufpreis von 30.024,02 EUR. Das Fahrzeug wurde am 28.07.2016 übergeben. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA 288, Schadstoffklasse Euro 6 mit NOx-Speicherkatalysator (NSK) verbaut. Der streitgegenständliche Fahrzeugtyp unterliegt keinem Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Der streitgegenständliche Fahrzeugtyp nimmt aber an einem freiwilligen Software-Update im Rahmen des nationalen Forums Diesel teil (Anl. B 33a). Der Kläger führt die zwischenzeitlich aufgelöste oHG in Form eines Einzelunternehmens seit dem 01.02.2019 weiter.

Wegen des zugrunde liegenden Sachverhalts im Übrigen und der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit Versäumnisurteil vom 07.02.2022 die Klage abgewiesen. Mit Urteil vom 09.05.2022 hat es dieses Versäumnisurteil aufrecht erhalten. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils verwiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er rügt im Wesentlichen unter Wiederholung erstinstanzlichen Vortrags, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Substantiierungsanforderungen an den klägerischen Vortrag überspannt. Es habe zu dem Schluss kommen müssen, dass mit der Fahrkurvenerkennung sowie mit dem Thermofenster unzulässige Abschalteinrichtungen vorlägen. Die Ausgestaltung der Regeneration des NSK im streitgegenständlichen Fahrzeug sei davon abhängig, ob das Fahrzeug einen Prüfstandslauf des NEFZ durchfahre oder nicht, was zwischen den Parteien unstreitig ist. Die Regeneration des NSK werde innerhalb der Prüfstandsbedingungen des NEFZ grundlegend anders gesteuert als im normalen Fahrbetrieb. Im normalen Fahrbetrieb erfolge die Regeneration in bestimmten Streckenintervallen (ca. alle 5 km) oder wenn die Speicherkapazität ausgeschöpft sei, je nachdem, welches Ereignis zuerst eintrete. In dem Fahrzeug sei eine Software verbaut, welche mittels einer sog. "Fahrkurvenerkennung" (auch "Zykluserkennung" genannt), die Vorkonditionierung (sog. "Precon") für die Messung auf dem Teststand im NEFZ erkenne. Die Motorsteuerungssoftware stelle dann sicher, dass am Ende der Vorkonditionierung eine Regeneration erfolge, sodass der NSK zu Beginn der anschließenden Messung im NEFZ leer sei. Das Emissionsverhalten des Fahrzeugs bei Erkennung der Fahrkurve sei dadurch anders als ohne Erkennung der Fahrkurve. Diese Funktionsweise des NSK habe die Beklagte dem KBA im Typgenehmigungsverfahren nicht offen gelegt.

Weiter werde die NSK-Regeneration in Abhängigkeit von der Außentemperatur abgeschaltet. Innerhalb der Bedingungen des NEFZ (bei einer Umgebungstemperatur zwischen 20° C und 30° C und einer Drehzahl unterhalb von 2.800 U/min) sei die NSK-Regeneration jederzeit möglich und der NSK könne das Abgas reinigen. Unter normalen Betriebsbedingungen liege die Temperatur regelmäßig unterhalb von 15° C und die erreichten Drehzahlen lägen oberhalb von 2.800 U/min. Damit sei die NSK-Regeneration im streitgegenständlichen Fahrzeug im Realbetrieb nur stark eingeschränkt möglich bzw. sei in einem Großteil der Fahrsituationen vollständig deaktiviert. Konkrete Anhaltspunkte dafür ergäben ...

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