Verfahrensgang
LG Bad Kreuznach (Aktenzeichen 2 O 116/22) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 21.10.2022 wird zurückgewiesen.
2. Soweit der Kläger die Berufung zurückgenommen hat, ist er seines Rechtsmittels verlustig.
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Darstellung tatsächlicher Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO bedarf es nicht, weil ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist; der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer übersteigt 20.000 EUR nicht (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 543 Abs. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
II. Die zulässige Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg.
1. Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu.
a) In Ermangelung einer vertraglichen Beziehung der Parteien kommt allein eine deliktische Haftung der Beklagten in Betracht. Insbesondere handelt es sich bei der EG-Übereinstimmungsbescheinigung, die nicht an den Käufer adressiert ist, sondern gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV lediglich dem Fahrzeug beizufügen ist, nicht um eine Garantieerklärung i. S. d. § 443 BGB (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 03.03.2023 - 19 U 222/22, BeckRS 2023, 3833 Rn. 68 ff.; OLG München, Beschluss vom 25.04.2023 - 27 U 7201/22 e, BeckRS 2023, 10351 Rn. 28). Mit der Erstellung der Übereinstimmungsbescheinigung, mit der bestätigt wird, dass das konkrete auf den Markt gebrachte Fahrzeug den Vorgaben der EG-Typgenehmigung entspricht, erfüllt der Hersteller eine gesetzliche Verpflichtung und schafft die Voraussetzungen der (Erst-)Zulassung des auf den Markt gebrachten Fahrzeugs (§ 6 Abs. 3 FZV). Dass der Hersteller über diese gesetzliche Pflichterfüllung hinaus in besonderem Maße Vertrauen in Anspruch nehmen oder eine Zusicherung abgeben will, erschließt sich nicht (OLG Zweibrücken, Hinweisbeschluss vom 01.02.2023 - 7 U 94/21, BeckRS 2023, 3009 Rn. 3 m.w.N.).
Eine vertragliche oder sonst eine (verschuldensunabhängige) Haftung aus einer Garantieerklärung des Fahrzeugherstellers ergibt sich auch aus den jüngsten ergangenen Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 (Az. VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22, juris - alle weiteren Entscheidungen, soweit nicht anders gekennzeichnet, zitiert nach juris) nicht.
b) Ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB oder § 831 BGB besteht nicht. Das Verhalten der Beklagten in Bezug auf den Kläger ist nicht als sittenwidrig i. S. d. § 826 BGB anzusehen.
aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde durch eine Pflichtverletzung einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann, so zum Beispiel auch im Falle einer bewussten Täuschung. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 Rn. 14 f. m.w.N.; Urteil vom 08.03.2021 - VI ZR 505/19 Rn. 17 f.; Urteil vom 16.09.2021 - VII ZR 192/20, NJW 2021, 3721).
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum sog. Diesel-Abgasskandal ist inzwischen geklärt, dass es ein objektiv sittenwidriges Verhalten darstellt, wenn ein Autohersteller auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse Fahrzeuge mit einer Motorsteuerungssoftware ausstattet, die bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, a.a.O, Rn. 16). Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, a.a.O., Rn. 16).
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keine ausreichend greifbaren Anhaltspunkte für eine sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte mittels bewusster Implementierung unzulässiger Abschalteinrichtungen vorgetragen.
(1) Aus dem Vorhandens...