Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (im Anschluss an BGH Urt. v. 22.11.2016 - VI ZR 533/15, r+s 2017, 95 Ls.).
2. Dies ist für ein vorausfahrendes Kraftfahrzeug bei einem Spurwechsel in eine Linksabbiegerspur nicht der Fall, wenn rückwärtiger Verkehr die Linksabbiegerspur seinerseits zum Abbiegen nutzt und dabei verkehrsbedingt aufgrund einer unstreitig auf Rotlicht springenden Ampel übermäßig stark bremsen muss, solange sich das vorausfahrende Kraftfahrzeug nach den unstreitigen und festgestellten Umständen sozusagen nur bei Gelegenheit zwischen der auf Rotlicht springenden Ampel und dem rückwärtigen Fahrzeug befand.
3. Der Sturz eines Fahrgastes in einem Linienbus wegen einer außergewöhnlich starken Bremsung des Busfahrers erfolgt hingegen beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs.
Normenkette
StVG § 7
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 2 O 383/20) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Gründe
I. Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Zurecht hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Die Einwendungen der Klägerin, bezüglich derer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Berufungsbegründung (Bl. 16 ff. der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA II-16 ff.) verwiesen wird, greifen im Ergebnis nicht durch.
1. Es bestehen keine Zweifel an der Feststellung des Landgerichts, dass dem Beklagten zu 1 kein Verkehrsverstoß nachzuweisen ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht war nach der Beweisaufnahme nicht in Zweifel Schweigen gebietender Weise im Sinne des § 286 ZPO davon überzeugt, dass sich der Beklagte zu 1 mit seinem Pkw im Sinne der Behauptung der Klägerin bei einem späten Spurwechsel in die Linksabbiegerspur vor den Bus "gequetscht" hat, der Bus deshalb notbremsen musste und die Klägerin infolgedessen als Passagierin des Buses gestützt ist.
Insoweit stehen die der Klägerin günstige Aussage der Busfahrerin und Zeugin (Protokoll vom 06.12.2021 Seite 2 f., eGA II-22 f.: "Im letzten Moment ist es dann auf die Linksabbiegerspur gezogen." / "Dann ist er quasi im letzten Moment auch auf die Linksabbiegerspur gewechselt." / "[...] erst im letzten Moment auf die Linksabbiegerspur gewechselt." / "Er ist aber im letzten Moment übergezogen.") den Angaben des Beklagten zu 1 (Protokoll vom 06.12.2021 Seite 1, eGA II-21) entgegen, der ein ganz normales Fahrverhalten schildert und schon schriftsätzlich abgestritten hat, er sei erst spät in die Linksabbiegerspur gewechselt.
Da beide ein unmittelbares Eigeninteresse als mögliche Unfallverantwortliche haben, kann der Aussage der Zeugin auch kein für die Überzeugungsbildung entscheidend höheres Gewicht beigemessen werden. Es steht schlicht Aussage gegen Aussage, so dass die Klägerin beweisfällig bleibt.
2. Damit allein hätte das Landgericht die Klage jedoch nicht abweisen dürfen.
a) Nur eine Haftung der Beklagten aus § 823 BGB, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG schied danach aus, weil ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 1 nicht feststellbar ist.
b) Eine Haftung aus § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG schied damit aber nicht im Hinblick auf § 17 StVG aus (nach dem offenen Beweisergebnis stünde nur fest, dass die Beklagten auch den Nachweis fehlenden Verschuldens nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG nicht geführt haben).
Denn § 17 StVG, den das Landgericht zu seiner Begründung herangezogen hat, ist im Verhältnis zwischen Klägerin und Beklagten gar nicht anwendbar.
Der Anwendungsbereich des vom Landgericht herangezogenen § 17 Abs. 1 StVG könnte nur im Verhältnis zwischen der Haftungseinheit Bus einerseits und Haftungseinheit Beklagtenfahrzeug andererseits eröffnet sein und erlaubte dort einen Innenausgleich zwischen den beiden Haftungseinheiten für den der Klägerin zu ersetzenden materiellen und immateriellen Schaden (vgl. etwa Senat Urt. v. 24.8.2021 - 7 U 81/20, NJW-RR 2022, 177 m.w.N.).
Im Außenverhältnis zur Klägerin kommt es hingegen allein darauf an, ob die Haftungseinheit Bus und / oder die Haftungseinheit Beklagtenfahrzeug in die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG hineingewachsen sind.
Insoweit ergibt sich die Haftung der Haftungseinheit Bus gegenüber der Klägerin dem Grunde nach aus § 7 Abs. 1 StVG und § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG allein aufgrund des Sturzes der Klägerin infolge der unstreitig - von der Zeugin bestätigten - außergewöhnlich starken Bremsung der Busfahrerin beim Betrieb des Omnibusses (vgl. nur Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 7 StVG (Stand: 01.12.2021), § 7 StVG Rn. 127 m.w.N.). O...