Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerb eines Dieselfahrzeugs: Schadensersatzanspruch bei Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein relevanter Verstoß gegen Art. 5 II VO (EU) 715/2007 liegt nur dann vor, wenn die Abschalteinrichtung Auswirkungen auf die Einhaltung der Grenzwerte hat, wenn die Typgenehmigung also ohne die Einrichtung nicht erteilt worden wäre (OLG Düsseldorf, 22. Juli 2021, 22 U 97/20). (Rn. 16)
2. Auf die Implementierung eines Thermofensters in die Motorsteuerungssoftware allein kann der Vorwurf sittenwidrigen Handelns nicht gestützt werden.(Rn. 18)
3. Eine Fahrkurvenerkennung ist nicht an sich unzulässig. Dies ist gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 nur dann der Fall, wenn dadurch eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 aktiviert wird, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems verringert (vgl. auch OLG Hamm, 22. Juni 2021, I-13 U 194/20).(Rn. 26)
4. Ein Anspruch des Fahrzeugerwerbers ergibt sich nicht aus § 823 II BGB i.V.m. § 6 I, § 27 I EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im Aufgabenbereich der vorgenannten Vorschriften (vgl. u.a. BGH, 30. Juli 2020, VI ZR 5/20).(Rn. 30) (Rn. 31)
Normenkette
BGB §§ 31, 823 Abs. 2 S. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Siegen (Urteil vom 24.06.2022; Aktenzeichen 5 O 148/20) |
Tenor
Der Kläger wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, seine Berufung gegen das am 24.06.2022 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Siegen durch Beschluss gemäß § 522 II 1 ZPO zurückzuweisen.
Der Kläger erhält Gelegenheit, binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Hinweises Stellung zu nehmen und mitzuteilen, ob die Berufung weiter aufrechterhalten oder aus Kostengründen zurückgenommen wird.
Gründe
I. Der Kläger erwarb am 11.09.2015 den streitgegenständlichen Pkw VW Tiguan 2,0 l TDI, EU6 mit SCR-Kat. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat für dieses Fahrzeug keinen verpflichtenden Rückruf wegen des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung angeordnet. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch mit der Behauptung, das Fahrzeug sei vom sog. "Abgasskandal" betroffen. Die Beklagte habe unzulässige Abschalteinrichtungen implementiert, nämlich ein Thermofenster und eine Prüfzykluserkennung, und ihn, den Kläger, dadurch vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der genauen Fassung der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das landgerichtliche Urteil verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stünden die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB erforderten eine vorsätzliche Schadenszufügung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen sei, so das Landgericht mit näheren Ausführungen, hier nicht ersichtlich, und zwar weder hinsichtlich des unstreitig vorhandenen Thermofensters noch hinsichtlich der weiteren behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen. Ein Anspruch des Klägers ergebe sich auch nicht aus § 823 II BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FVG oder Art. 5 II VO (EG) 715/2007, denn bei diesen Normen handele es sich nicht um Schutzgesetze i.S.v. § 823 II BGB. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.
Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Klagebegehren weiter. Er rügt mit näheren Ausführungen, das Landgericht habe seinen Vortrag zu unzulässigen Abschalteinrichtungen zu Unrecht als unsubstantiiert angesehen und deshalb verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt. Bei dem Thermofenster und der Fahrkurven-/Prüfzykluserkennung handele es sich um unzulässige Abschalteinrichtungen. Die Beklagte habe auch vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt, so dass sie gem. § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sei. Überdies folge die Haftung der Beklagten auch aus § 823 II BGB i.V.m. Art. 4 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2 Unterabsatz 2 und Art. 5 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bzw. Art. 18 Abs. 1 Richtlinie 2007/46, denn bei den genannten Vorschriften handele es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts um Schutzgesetze i.S.v. § 823 II BGB, was nicht zuletzt die Schlussanträge des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshofs R. vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 bestätigten.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 24.06.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Siegen, Az.: 5 O 148/20, wie folgt zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 31.263,40 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 20. August 2020 abzüglich der weiter seit Klagerhebung angefallenen, vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Übergabe un...