Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Kind ist die fehlende Altersreife der alleinige Grund für die Wirtschaftsunfähigkeit. Für den Zeitpunkt des Hoferbfalls ist die Prognose zu stellen, dass der Minderjährige nach Neigung und Einfluss der Umwelt die Annahme rechtfertigt, dass er in den landwirtschaftlichen Beruf hineinwachsen werde.
2. Die bloß innerfamiliäre Absprache, der Minderjährige solle künftig den elterlichen Betrieb übernehmen, kann ohne Hinzutreten sonstiger objektivierbarer Umstände keine ausreichende Prognosegrundlage schaffen.
3. Für die Prognoseentscheidung kann nicht ohne weiteres auf die Entwicklungen nach dem Erbfall abgestellt werden. Deshalb reicht es im Allgemeinen nicht aus, wenn der Minderjährige erst nach dem Erbfall zunehmend intensiver auf dem elterlichen Hof mitwirkt, an Fortbildungen bei der Landwirtschaftskammer teilnimmt und im Laufe des Verfahrens vermehrt Kenntnisse im Bereich der Landwirtschaft ansammelt. Wenn diese Entwicklungen im Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht absehbar waren, haben sie bei der Prognoseentscheidung außen vor zu bleiben. Andernfalls würde dies eine nicht gerechtfertigte Privilegierung des zum Zeitpunkt des Erbfalls aufgrund seiner Altersreife nicht wirtschaftsfähigen Hofprätendenten bedeuten, weil dem potentiellen Hoferben, dem die Ausnahmevorschrift des § 6 Abs. 6 Satz 2 HöfeO nicht zugutekommt, eine Lehrphase nach dem Erbfall grundsätzlich nicht zugebilligt wird.
Normenkette
HöfeO §§ 5-6, 10; HöfeVfO § 11 Abs. 1 lit. g
Verfahrensgang
AG Warendorf (Aktenzeichen 33 Lw 25/22) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers K. B. wird der Beschluss des Amtsgerichts - Landwirtschaftsgerichts - Warendorf vom 21. Februar 2023 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass der Hof des Erblassers, eingetragen im Grundbuch von Y., Blatt #, Amtsgericht Warendorf, gemäß § 10 HöfeO verwaist ist und der Antragsteller K. B. den Hof nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch allein geerbt hat.
Die Beteiligten zu 1 und 2 tragen die Gerichtskosten des Verfahrens in beiden Instanzen je zur Hälfte. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 57.878,24 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten darüber, ob ein im Grundbuch von Y. eingetragener Hof im Sinne von § 10 HöfeO zum Zeitpunkt des Erbfalls im März 2019 verwaist war und deshalb nach den Vorschriften des allgemeinen Rechts an den Antragsteller vererbt worden ist.
Hintergrund des Verfahrens ist der Erbfall nach dem am 00.00.2019 mit letztem Wohnsitz in Y.-M. verstorbenen Landwirts Z. B.. Im Nachlass des Erblassers befand sich neben hoffreiem Vermögen der im Grundbuch eingetragene Hof (P.-straße *, N01 Y.; Grundbuch von Y. Blatt #, Grundstück Gemarkung M., G01). Dieser hat eine Größe von 10,4601 ha. Weitere 6,5 ha sind hinzu gepachtet. Auf dem Hof wurden etwa 60 Mastbullen gehalten, auf den Ackerflächen wurde Mais und Getreide angebaut.
Der Erblasser hat mehrere privatschriftliche Testamente verfasst. In allen drei Testamenten, vom 25. September 1987, 12. November 2003 und 28. April 2014, setzte er seinen Bruder K. B., den Antragsteller, zum alleinigen Erben ein.
Neben dem Antragsteller hatte der Erblasser noch drei weitere Geschwister. Dies sind Frau N. F., geboren am 00.00.1957, Frau E. B., geboren am 00.00.1960 sowie Frau U. C., geboren am 00.00.1971. Der Beteiligte zu 2 ist das älteste von drei Kindern der Frau U. C.. Seine zwei jüngeren Geschwister sind L. (geboren 2006) und V. (geboren 2008) C.. N. F. hat zwei Kinder, die 1992 geboren Tochter Q. sowie den 1995 geborenen A. F.. Q., die in ihrer Kindheit zusammen mit ihrem Bruder viele Ferienzeiten auf dem Hof verbracht haben soll, arbeitet als Physiotherapeutin, A. als Elektriker.
Der Beteiligte X. C. wurde am 00.00.2004 geboren, war zum Erbfall mithin noch 14 Jahre alt, hat seine Schulausbildung mit der Fachoberschulreife abgeschlossen und anschließend eine Ausbildung zum Elektroniker für Haus- und Energietechnik begonnen, die er in diesem Jahr abschließen wird. Er ist auf dem im Nebenerwerb betriebenen landwirtschaftlichen Unternehmen seiner Eltern (H.-straße ", N01 Y.) aufgewachsen. Auf diesem Betrieb wurde noch bis ins Jahr 2021 Ackerbau und Viehwirtschaft betrieben. Es handelte sich um einen Hof mit 24 ha Ackerfläche und einer Rindermast. Die Bewirtschaftung des Hofes - das betrifft vor allem die Tierhaltung - ist im Jahr 2021 zurückgefahren worden. Eine Fläche von 18 ha wird weiterhin bewirtschaftet.
Vor dem Senat ist bereits ein Verfahren anlässlich des Erbfalls anhängig gewesen (33 Lw 37/19, 10 W 60/20). In diesem Verfahren beantragte der Antragsteller einen Erbschein sowie ein entsprechendes Hoffolgezeugnis. Betreffend das hoffreie Vermögen wurde der Antragsteller als Alleinerbe bestätigt, hinsichtlich des Hoffolgezeugnisses wurde der Antrag hingegen mangels feststellbarer Wirtschaftsfähigkeit rechtskräftig abgelehnt. Grundlage dessen war der Anhörungstermin vor dem Senat am ...