Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsüberholen. Reißverschlussverfahren. Fahrstreifen
Leitsatz (amtlich)
Überholt ein Kraftfahrer auf einer auslaufenden rechten Fahrspur außerorts, an deren Ende im Reißverschlussverfahren auf den linken, in dieselbe Richtung verlaufenden Fahrstreifen gewechselt werden muss, bereits mehrere hundert Meter vor dem Ende des rechten Fahrstreifens, ein auf diesem befindliches Fahrzeug rechts, so handelt es sich nicht um ein Einordnen im Reißverschlussverfahren nach § 7 Abs. 4 StVO. Ein Rechtsüberholen ist in einer solchen Situation nur dann nicht verkehrsordnungswidrig, wenn einer der gesetzlich abschließend geregelten Fälle zulässigen Rechtsüberholens vorliegt.
Normenkette
StVO § 7 Abs. 4, 2, 2a
Verfahrensgang
AG Siegen (Aktenzeichen 431 OWi 543/19) |
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird aus den zutreffenden Gründen der dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger bekannt gemachten Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 27.01.2020, verworfen, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1,2, 4 Satz 3 OWiG).Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene (§ 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).
Gründe
Entgegen der Ansicht der Verteidigung besteht insbesondere auch kein Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts. Die Fortbildung des Rechts besteht darin, bei der Auslegung von Rechtssätzen und der rechtsschöpferischen Ausfüllung von Gesetzeslücken Leitsätze aufzustellen und zu festigen. Die Rechtsfragen müssen entscheidungserheblich, klärungsbedürftig (d.h. noch offen, zweifelhaft oder bestritten) und abstraktionsfähig sein (Seitz/Bauer in Göhler OWiG § 80 Rdn. 3 m.w.N.). In diesem Sinne besteht vorliegend kein Anlass zur Fortbildung des Rechts. Das bloße Äußern einer vom Gesetz abweichenden Rechtsansicht des Betroffenen kann noch nicht zur Zulassungspflicht führen, da damit die Regelung des § 80 OWiG ausgehebelt und in solchen Fällen praktisch immer die Rechtsbeschwerde zugelassen werden müsste. Vielmehr muss die Rechtsansicht entweder tatsächlich der Diskussion in Rechtsprechung und/oder Literatur sein oder aber, sofern sie im Rahmen des Bußgeldverfahrens erstmals vorgebracht wird, eine gewisse Plausibilität oder Vertretbarkeit erkennen lassen. Das ist hier nicht der Fall.
Vorliegend ergibt sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz, dass das Rechtsüberholen auf einer auslaufenden rechten Fahrspur außerorts, an deren Ende im Reißverschlussverfahren auf den linken, in dieselbe Richtung verlaufenden Fahrstreifen gewechselt werden muss, nicht mehrere hundert Meter vor dem Ende des rechten Fahrstreifens (nach den Feststellungen des Amtsgerichts war der Überholvorgang 200m vor dem Ende abgeschlossen) zulässig ist, es sei denn, es läge einer der gesetzlich ausdrücklich abschließend (vgl. König in:Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, StVO, 45. Aufl., § 7 Rdn. 10) geregelten Fälle des Rechtsüberholens vor. Denn das Reißverschlussverfahren ist nach § 7 Abs. 4 StVO "unmittelbar vor Beginn der Verengung" durchzuführen. Nur in diesem Zusammenhang, also im Rahmen des Verkehrsgeschehens unmittelbar vor Beginn der Verengung, kann - wie das Amtsgericht auch zutreffend ausgeführt hat - im Einzelfall nach § 7 Abs. 4 StVO auch ein Rechtsüberholen zulässig sein (vgl. -allerdings etwas missverständlich -: König a.a.O. Rdn. 20). Gegen eine weitergehende Zulässigkeit des Rechtsüberholens auf einem endenden Fahrstreifen spricht bereits der abschließende Charakter der gesetzlichen Aufzählung der zulässigen Fälle des Rechtsüberholens und die Beschränkung des Reißverschlussverfahrens auf einen räumlichen Bereich unmittelbar vor Ende des Fahrstreifens.
Fundstellen
Haufe-Index 13732969 |
ZfS 2020, 350 |
VRA 2020, 88 |