Entscheidungsstichwort (Thema)
Diesel-Abgasskandal: Haftung des Motorherstellers wegen einer Schutzgesetzverletzung
Leitsatz (amtlich)
Die Haftung nach § 823 II BGB in Verbindung mit § 6 I, § 27 I EG-FGV knüpft an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Der Motorhersteller kann, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen und durch das Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihm nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht obliegt (BGH, 10. Juli 2023, VIa ZR 1119/22).
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LG Siegen (Aktenzeichen 2 O 305/21) |
Tenor
I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Siegen (2 O 305/21) durch einstimmigen Senatsbeschluss gemäß § 522 II ZPO zurückzuweisen, da zur einstimmigen Überzeugung des Senats das Berufungsbegehren wegen offensichtlicher Unbegründetheit keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und eine Entscheidung in dieser Sache nicht der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient. Eine mündliche Verhandlung ist zur einstimmigen Überzeugung des Senats nicht geboten.
Gem. § 513 I ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder dass die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das Landgericht hat den Sachvortrag der Parteien umfassend und nachvollziehbar gewürdigt. Dabei hat es insbesondere das grundrechtsgleiche Recht des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Eine Beweisaufnahme ist nicht veranlasst, und Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.
Gründe
Dem Kläger stehen gegen die Beklagte die in Zusammenhang mit dem Erwerb des streitgegenständlichen PKW vom Typ Audi A4 2,0 TDI quattro mit dem Motor der Baureihe EA288 und der Emissionsklasse EU6 geltend gemachten Schadensersatzansprüche aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Mangels eines Vertragsverhältnisses oder einer vertragsähnlichen Beziehung zwischen den Parteien kommen vertragliche Ansprüche von vornherein nicht in Betracht. Doch auch die Voraussetzungen für eine deliktische Haftung der Beklagten gem. §§ 826 BGB, 823 II BGB in Verbindung mit § 263 StGB, § 823 II BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV oder §§ 831, 31 BGB sind nicht erfüllt. Infolgedessen ist auch der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten unbegründet.
1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB sind nicht erfüllt.
a) Ein objektiv sittenwidriges Verhalten der Beklagten liegt in Bezug auf das von dem Kläger erworbene Fahrzeug nicht vor.
aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Ob dies der Fall ist, ist durch eine umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck der Handlung zu ermitteln. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine vertragliche oder gesetzliche Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. BGH, Urteil v. 25.5.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1963 [Rz. 15]; BGH, Urteil v. 28.6.2016, VI ZR 536/15, WM 2016, 1975 [Rz. 16] m.w.N.). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH Beschluss v. 19.1.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921, 922 [Rz. 14]; BGH Urteil v. 25.5.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, 1963 [Rz. 15]). Grundsätzlich ist die Absicht eines Wirtschaftsunternehmens, einen höheren Gewinn zu erzielen, als Beweggrund für sich genommen nicht zu beanstanden. Dieses Ziel wird aber im Verhältnis zu dem Käufer eines Fahrzeugs dann verwerflich, wenn es auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde erreicht werden soll, und dies mit einer Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käu...