Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebrauchtwagenkaufvertrag: (Differenz-)Schadenersatzanspruch aufgrund des Verbaus einer Fahrkurvenerkennung und eines Thermofensters
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen des § 826 BGB kann ein Verhalten - vorliegend der Verbau einer Fahrkurvenerkennung -, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht sittenwidrig zu werten sein. (Rn. 23)
2. Die Reduzierung der Abgasrückführung bei Unterschreitung einer Temperatur von 17 ° Celsius bzw. 15 ° Celsius und Überschreitung einer Temperatur von 33 ° Celsius genügt für den Rückschluss auf das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit auf Seiten des Herstellers nicht (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021, VI ZR 128/20). (Rn. 28)
3. Auch wenn dem Erwerber eines Kraftfahrzeugs ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gegen den Fahrzeughersteller zustehen kann, wenn dieser zumindest in fahrlässiger Verkennung der Rechtslage eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet und daher eine insoweit unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21), kann der Vorwurf einer deliktischen Schädigung durch den Hersteller aufgrund seiner Verhaltensänderung vor Kaufvertragsabschluss ausgeräumt bzw. kann eine Entlastung von dem Vorwurf fahrlässigen Verhaltens anzunehmen sein, wenn sich der Hersteller auf einen Verbotsirrtum beruft und dieser im konkreten Fall unvermeidbar war. (Rn. 41)
Normenkette
BGB §§ 31, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5; VwVfG § 24 Abs. 1 Sätze 1-2
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen 2 O 35/21) |
Tenor
Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger erhält Gelegenheit, hierzu binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
Gründe
I. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in dem von ihm angekauften Gebrauchtfahrzeug geltend.
Wegen des zugrundeliegenden Sachverhalts und der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich mit der Kläger mit seiner Berufung. Er rügt im Wesentlichen, das Landgericht ersetze in seinem Urteil teilweise fehlerhaft eigene Beurteilungen und Wertungen durch Wiederholungen von KBA-Mitteilungen. Es unterliege der vollständigen gerichtlichen Bewertung und Prüfung, ob unzulässige Abschalteinrichtungen vorlägen. Nach der Rechtsprechung des EuGH stellten sowohl das Thermofenster und die bei der Auslieferung des Fahrzeugs installierte Fahrkurvenerkennung, auch wenn sie den Prüfstand des NEFZ nicht erkennen, unzulässige Abschalteinrichtungen dar. Hierzu habe er substantiiert vorgetragen, wie der Kläger näher ausführt. Auf eine Grenzwertkausalität komme es nicht an. Die Beklagte hafte nach §§ 826, 31 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 27 Abs. 1 6 Abs. 1 EG-FGV. Die jetzt vorliegenden Unterlagen der B. GmbH aus dem Jahr 2009 bzw. 2015 zeigten, dass auch die Beklagte seit langem bewusst unzulässige Abschalteinrichtungen hat entwickeln und implementieren lassen.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 33.276,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des PKW der Marke VW T6 Multivan 2, FIN ...;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des der Marke VW T6 Multivan 2, FIN ... im Annahmeverzug befindet;
3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn erstattungsfähige außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.437,70 EUR nebst 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das ihr günstige Urteil mit näheren Ausführungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 33.276,80 EUR nebst konkret bezeichneter Zinsen Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu (Berufungsantrag zu 1.).
a. Der Kläger kann sein Klagebegehren nicht auf eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Beklagten gemäß § 826 BGB (iVm § 31 BGB oder § 831 BGB) stützen.
Die Beklagte hat sich gegenüber dem Kläger nicht sittenwidrig verhalten.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter gegen...