Leitsatz (amtlich)

Die Zivilprozessordnung kennt keine zeitliche Grenze, nach deren Eintreten eine Verweisung nicht mehr zulässig wäre. Ein Gericht kann einen Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit auch nach mehrjähriger Verfahrenslaufzeit und Änderung einer zuvor abweichenden Rechtsauffassung verweisen. Eine Verweisung ist bindend, wenn das verweisende Gericht die Annahme einer Gerichtsstandvereinbarung (§ 38 ZPO) oder einer Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Verhandlung (§ 39 ZPO) vertretbar verneint.

 

Tenor

Zuständig ist das Landgericht N.

 

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegen den in N ansässigen Beklagten Zahlungsansprüche geltend, da sie auf Grundlage eines Dienstleistungsvertrags vom 28.03.2012 buchhalterische Leistungen erbracht habe. Der Dienstleistungsvertrag enthält folgende Klausel:

§ 5 Leistungs- und Erfüllungsort

(1) Leistungs- bzw. Erfüllungsort ist der Geschäftssitz des Auftragnehmers.

(2) Sofern beide Parteien Kaufleute sind, wird als Gerichtsstand das Gericht am Geschäftssitz des Auftragnehmers vermutet.

Das Landgericht F hat der Klägerin mit Beschluss der Kammer vom 11.12.2013 Prozesskostenhilfe bewilligt. Nach Zustellung der Klage wurde der Rechtsstreit auf die Einzelrichterin übertragen. In seiner Klageerwiderung hat der Beklagte gerügt, dass das Landgericht F für die Klage nicht zuständig sei. Der behauptete Honoraranspruch sei am Ort der Niederlassung des Mandanten einzuklagen; § 5 des Vertrags sei unwirksam, da die Klausel im Widerspruch zur Natur des Vertrags stehe. Daraufhin hat die Klägerin zwar vorsorglich und hilfsweise die Verweisung an das Landgericht N beantragt, zugleich aber ausgeführt, dass die Vertragsklausel wirksam sei, da beide Parteien Kaufleute seien.

Nach dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einzelrichterin vom 04.03.2014 haben die Parteien ihre Anträge aus Klage bzw. Klageerwiderung gestellt; prozessuale Erklärungen der Parteien zur Zuständigkeit sind dem Protokoll nicht zu entnehmen. Einen in der mündlichen Verhandlung geschlossenen Vergleich hat die Klägerin widerrufen. In einem daraufhin erfolgenden Schriftsatz vom 08.04.2014 hat der Beklagte erneut die Auffassung vertreten, dass das Landgericht F nicht zuständig sei.

Mit Beschluss vom 02.05.2014 hat das Landgericht F den Parteien einen weiteren Vergleichsvorschlag unterbreitet. In diesem Zusammenhang hat es einen Hinweis erteilt, dass es "derzeit" davon ausgehe, nach der Gerichtsstandsvereinbarung zuständig zu sein. Auch im darauf folgenden Schriftsatz hat der Beklagte seine Auffassung wiederholt, das Landgericht F sei unzuständig.

Mit Beschluss vom 12.08.2014 hat das Landgericht F die Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet; die Beweisfragen wurden mit Beschluss des Landgerichts F vom 07.04.2015 konkreter ausformuliert. Die Akte wurde mit Verfügung vom 24.06.2015 an den Sachverständigen versandt, der sein Gutachten im Dezember 2015 vorlegte. Mit Beschluss vom 29.03.2016 wurde dem Sachverständigen die Ergänzung seines Gutachtens aufgegeben. Nachdem es nach einem erheblichen Vorschussbegehren des Sachverständigen unter anderem zur Diskussion über dessen Qualifikation gekommen war, hat das Landgericht F die Akten vom Sachverständigen zurückgefordert.

Mit Beschluss vom 22.09.2016 hat die Kammer das Verfahren von der Einzelrichterin übernommen und darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Sache an das Landgericht N zu verweisen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Landgericht N als Gericht des allgemeine Gerichtsstands und des Erfüllungsort zuständig sei. Eine Zuständigkeit des Landgerichts F ergebe sich auch nicht aus § 38 ZPO, da nicht zu erkennen sei, dass die Klägerin als Kaufmann im Sinne von § 1 HGB anzusehen sei.

Die Klägerin hat sich der Auffassung zur Unzuständigkeit des Landgerichts F angeschlossen und zugleich die beabsichtigte Entscheidung "nach nunmehr dreijähriger Verfahrensdauer mit einem Höchstmaß an Verwunderung zur Kenntnis" genommen. Der Beklagte hat erneut sein Einverständnis zu einer Verweisung an das Landgericht N erklärt.

Mit Beschluss vom 13.10.2016 hat sich das Landgericht F für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht München verwiesen. Zur Begründung hat es über den bereits erteilten Hinweis hinaus ausgeführt, dass eine Zuständigkeit des Landgerichts F nicht durch rügelose Verhandlung eingetreten sei, da der Beklagte die Rüge bereits in der Klageerwiderung erhoben und nach der mündlichen Verhandlung vom 04.06.2014 schriftsätzlich wiederholt und damit aufrechterhalten habe.

Das Landgericht N hat die Parteien darauf hingewiesen, dass eine Rückverweisung an das Landgericht F beabsichtigt sei, da ausweislich des Protokolls in der mündlichen Verhandlung Sachanträge gestellt worden seien und zur Sache verhandelt worden sei, ohne dass zuvor die Unzuständigkeit gerügt worden sei. Daraufhin hat der Beklagte die Auffassung vertreten, die konkludente Bezugnahme auf seine zuvor schriftsätzlich erhobene Rüge reiche aus. Die ...

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