Leitsatz (amtlich)
1. Die Ermittlung des Erwerbsschadens kann im Einzelfall - wie hier - konkret auf der Basis der den Gewinn mindernden (oder den Verlust erhöhenden) Kosten einer tatsächlich eingestellten Ersatzkraft erfolgen, wenn durch ihren Einsatz ein Betriebsergebnis erzielt wird, das nicht höher lag, als es ohne das Unfallereignis durch den Unternehmer selbst (und zwar dann ohne diesen Mehraufwand) hätte voraussichtlich erreicht werden können, und der Einsatz der Ersatzkraft nicht von vornherein kaufmännisch unvertretbar war (im Anschluss an BGH Urt. v. 10.12.1996 - VI ZR 268/95, r+s 1997, 197 = juris Rn. 35, 18 f., 22; BGH Urt. v. 7.12.1993 - VI ZR 152/92, NJW 1994, 652 = juris Rn. 39).
2. Die Darlegungs- und Beweislast für den durch die Verletzung entstandenen Erwerbsschaden und dessen Höhe trägt der Geschädigte, dem allerdings die Beweiserleichterungen des § 252 Satz 2 BGB und § 287 ZPO zugute kommen, so dass die Darlegungs- und Beweisanforderungen nicht überspannt werden dürfen (zum Dienstausfallschaden BGH Urt. v. 16.3.2021 - VI ZR 773/20, VersR 2021, 650 Rn. 9).
Normenkette
BGB § 252 S. 2, § 253 Abs. 2, § 842; StVG § 7 Abs. 1, § 11 S. 1; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Paderborn (Aktenzeichen 4 O 400/19) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 10.05.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn (4 O 400/19) unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 28.843,70 EUR zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.11.2019.
Die Beklagte bleibt verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 13.000,- EUR zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.11.2019.
Es bleibt festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, letztere soweit sie nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstehen und nicht vorhersehbar sind, aus dem Unfallereignis vom 00.12.2018 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 20 % und die Beklagte zu 80 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 28 % und die Beklagte zu 72 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 40.201,19 EUR festgesetzt (Antrag zu 1: 29.201,19 EUR; Antrag zu 2: 11.000,- EUR).
Gründe
A. Der im Jahr 1999 geborene Kläger, der seit dem Jahr 2017 in selbständiger Tätigkeit einen von seinem Vater, dem Zeugen R., übernommenen Y.-Imbiss betreibt, begehrt von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 00.12.2018 auf der J.-straße in M.. Bei dem Unfall wurde der Kläger als Beifahrer in dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten verunfallten Pkw erheblich verletzt. Das Unfallfahrzeug war ohne Drittbeteiligung bei einer Geschwindigkeit von 100 bis 120 km/h von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Die Einstandspflicht der Beklagten mit einer Haftungsquote von 100 % ist unstreitig. Die Parteien streiten über den Ersatz des von dem Kläger geltend gemachten Erwerbsschadens sowie über die Höhe des geschuldeten Schmerzensgeldes.
Bei dem Unfall erlitt der Kläger eine Femurschaftfraktur links, ein Polytrauma mit Schädel-Hirn-Prellung und eine Thorax-Prellung. In der Zeit vom 04.12. bis zum 21.12.2018 befand er sich in stationärer Behandlung. Dort erfolgte eine geschlossene Reposition der Fraktur und die Anlage eines externen Fixateurs. Der Kläger wurde zunächst auf der Intensivstation überwacht. Am 10.12.2018 wurde der Fixateur entfernt und eine erneute Reposition und Osteosynthese mittels aufgebohrtem Femurnagel durchgeführt. Da postoperativ ein Wundinfekt auftrat, erfolgte am 14.12.2018 eine Wundrevision. Am 21.12.2018 wurde der Kläger teilmobilisiert mit Krücken entlassen mit der Maßgabe, das Bein für 6 Wochen mit nicht mehr als 15 kg zu belasten.
Vor dem Unfall war der Imbiss-Betrieb des Klägers von Montag bis Samstag jeweils von 11 bis 14 Uhr und von 17 bis 22 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 22 Uhr geöffnet. Sämtliche im Zusammenhang mit dem Betrieb des Imbisses stehenden Arbeiten einschließlich des Einkaufs und der Entgegennahme von Lieferungen, der Vorbereitungen in der Küche, der Zubereitung der Speisen und des Verkaufs sowie die Büroarbeiten führte der Kläger selbst aus. Unterstützt wurde er dabei von drei Aushilfskräf...