Leitsatz (amtlich)

1. Ein Einbiegen in eine Hofeinfahrt von einer Landstraße ohne doppelte Rückschau stellt einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 StVO dar.

2. Für das Unterlassen des rechtzeitigen Einsatzes des Fahrtrichtungsanzeigers entgegen § 9 Abs. 1 Satz 1 StVO spricht zudem ein Anscheinsbeweis.

3. Beim Einbiegen in eine Hofeinfahrt von einer Landstraße ist weiterhin § 9 Abs. 5 StVO zu beachten.

4. Eine unklare Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO liegt vor, wenn der Überholende nach den objektiv gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht rechnen darf. Allein eine Verringerung der Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs reicht hierfür nicht aus.

5. Verzug wirkt gemäß § 425 Abs. 2 BGB nur gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person er eintritt. Ein anderes im Sinne des § 425 Abs. 1 BGB gilt, wenn - wie hier - der Halter der Kfz-Haftpflichtversicherung gemäß A.1.1.4 AKB Regulierungsvollmacht erteilt hat und daher gemäß § 164 Abs. 1, Abs. 3 BGB eine Zurechnung erfolgt.

 

Normenkette

AKB A. 1.1.4; BGB § 425; StVO § 5 Abs. 3 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Sätze 1, 4 Hs. 1, Abs. 5

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 016 O 158/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 09.04.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Münster unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Das Versäumnisurteil des Landgerichts Münster vom 03.09.2019 wird teilweise aufgehoben.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 4.729,26 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 4.151,52 EUR seit dem 27.12.2019, aus 422,40 EUR seit dem 12.02.2020 und aus 155,34 EUR seit dem 28.03.2020 zu zahlen.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz tragen die Beklagten mit Ausnahme der Kosten, die durch die Säumnis des Klägers im Termin vom 03.09.2019 entstanden sind. Diese trägt der Kläger.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist lediglich im Hinblick auf einen Teil der Zinsen begründet und im Übrigen unbegründet. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Kläger gegen die Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 4.729,26 EUR nebst Zinsen sowie auf Zahlung der Nebenforderung in Höhe von 14,28 EUR gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 1, Abs. 3 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 VVG, 249 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB zusteht. Nach diesen Vorschriften haften die Beklagten dem Grunde nach für die Folgen des Verkehrsunfalls. Die Abwägung zur Höhe gemäß §§ 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 1, Abs. 3 StVG ergibt, dass die Beklagten allein für die Unfallfolgen einzustehen haben.

1. Da der Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht ist, richtet sich die Frage in welchem Umfang die Beklagten für die Schadensfolgen des Verkehrsunfalls einzustehen haben, nach § 17 StVG. Ist in den Fällen des § 17 StVG auch der Führer eines Kraftfahrzeugs zum Ersatz des Schadens verpflichtet, so sind gemäß § 18 Abs. 3 StVG auf diese Verpflichtung in seinem Verhältnis zu den Haltern und Führern der anderen beteiligten Kraftfahrzeuge die Vorschriften des § 17 entsprechend anzuwenden. Dies gilt hier in Bezug auf den Kläger, der als Führer des Fahrzeugs gemäß §§ 18 Abs. 1, 7 Abs. 1 StVG grundsätzlich zum Ersatz des durch den Verkehrsunfall verursachten Schadens verpflichtet ist.

a. Die Haftung des Klägers ist nicht bereits wegen eines für ihn unabwendbaren Ereignisses gemäß §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen. Den Beweis für die Unabwendbarkeit des Unfallgeschehens muss jeweils die Partei führen, die sich darauf beruft (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 7.1.2021 - 7 U 53/20, Rn. 4, beck-online), hier also der Kläger. Der Beweis ist dem Kläger nicht gelungen. Er hat nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 1) nicht links geblinkt hat, so dass er als Fahrer des nachfolgenden Fahrzeugs davon hätte ausgehen dürfen, dieser werde nicht nach links in die Zufahrt einbiegen. Die jeweils für sich glaubhaften Angaben der Parteien und die Zeugenaussagen stehen sich, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, unvereinbar gegenüber. Objektive Anhaltspunkte, die für die eine oder andere Unfallschilderung sprechen würden, sind nicht vorhanden.

b. Die gemäß §§ 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 3 StVG vorzunehmende Abwägung der Verschuldensanteile ergibt jedoch, dass die Beklagten vollumfänglich für die Folgen des Verkehrsunfalls einzustehen haben.

aa. Nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil ver...

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