Verfahrensgang

LG Bochum (Aktenzeichen 1 O 284/20)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Einzelrichterin des Landgerichts Bochum vom 16. März 2021 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn die die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt bis 65.000,00 EUR.

 

Gründe

I. Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin verlangt Schadensersatz von der beklagten Herstellerin eines von ihr bei dieser mit einem Kilometerstand von 50 km zu einem Preis von (netto) 51.889,60 EUR am 28. Februar 2017 erworben VW T6 "Multivan" 2.0 TDI mit 150 kW (Rechnung GA 55 ff.), der mit einem von der Beklagten entwickelten und produzierten Dieselmotor mit der Typbezeichnung EA288 ausgestattet ist. Bei dem Fahrzeug findet eine Abgasnachbehandlung mittels eines SCR-Katalysators statt, der den Stickoxidausstoß durch Einspritzung einer wässerigen Harnstofflösung ("AdBlue") verringert. Die Klägerin stützt ihre Ansprüche in erster Linie darauf, eine unstreitig vorhandene Fahrkurvenerkennung werde in manipulativer Weise zur Prüfstandserkennung eingesetzt, um mehr AdBlue als im Straßenbetrieb einzusetzen beziehungsweise - insoweit unstreitig - die AdBlue-Dosierung auf dem Prüfstand zu drosseln und durch eine höhere Abgasrückführungsrate zu ersetzen. Zudem verfügt das Fahrzeug über eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung (Thermofenster).

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Änderungen haben sich in zweiter Instanz insoweit ergeben, als die Klägerin nunmehr auch auf einen erhöhten Schadstoffausstoß im Realbetrieb verweist und der Kilometerstand des Fahrzeugs 69.205 km beträgt.

Die Klägerin beantragt:

Das Urteil des Landgerichts Bochum vom 23.09.2020, Az.: I-1 O 284/20, wird aufgehoben und die Beklagte nach Maßgabe der nachfolgenden Anträge verurteilt:

1) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 51.086,79 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Volkswagen Multivan, Fahrzeug-Ident.-Nr. ....

2) Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet.

3) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.777,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Kaufrechtliche Ansprüche scheitern bereits daran, dass die Klägerin bislang nicht vom Kaufvertrag zurückgetreten ist und auch keine Frist gesetzt hat. Soweit die Klägerin eine Haftung aus § 826 BGB geltend macht, hat sie entweder schon die Verwendung einer als unzulässig einzustufenden Abschalteinrichtung oder aber einen für eine solche Haftung erforderlichen bewussten Gesetzesverstoß der Beklagten nicht dargelegt. Auch eine Haftung wegen der fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung scheidet nach den Umständen des Falles aus, weil die insoweit in Frage kommenden Techniken dem Kraftfahrt-Bundesamt (im Folgenden: KBA) bekannt waren, ohne von diesem beanstandet worden zu sein. Eine etwaige Rechtswidrigkeit war daher für die Beklagte nicht erkennbar.

1) Der Klägerin steht wegen einer etwaigen unzulässigen Abschalteinrichtung kein Anspruch aus § 346 Abs. 1 BGB (iVm § 437 Nr. 2, § 323 Abs. 1 BGB) zu. Dabei kann dahinstehen, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden und das Fahrzeug mangelhaft ist (§ 434 Abs. 1 BGB).

a) Ein kaufrechtlicher Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises scheitert jedenfalls an der gemäß § 349 BGB erforderlichen Rücktrittserklärung. Ein Rücktritt ist ausdrücklich weder vorprozessual noch im Prozess erklärt worden. Ein solcher ist auch nicht konkludent in dem vorprozessualen Aufforderungsschreiben vom 20. Juli 2020 (Anlage zur Klage, GA 61 ff.) oder in der Erhebung der Klage zu sehen. Eine Rücktrittserklärung kann allerdings auch konkludent erklärt und damit etwa auch in einer Klageerhebung liegen (st. Rspr., etwa BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, juris Rn. 79). Der Gebrauch des Wortes "Rücktritt" ist nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 10. März 2010 - VIII ZR 182/08, juris Rn. 16). Ob ein schlüssiges Verhalten als eine - hier zur Rückabwicklung des Vertrags führende - Willenserklärung zu werten ist, bestimm...

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