Leitsatz (amtlich)
1. Der Erwerb von Aktien eines nicht börsennotierten Unternehmens ist weder ein Termin- noch ein vergleichbares Spekulationsgeschäft (§ 3 Abs. 2f ARB 2000). Verlangt der Versicherungsnehmer mit dem Vortrag, bei Erwerb der Kapitalanlage durch einen Mitarbeiter dieses Unternehmens getäuscht worden zu sein, Schadensersatz, liegt auch keine Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dem Recht der Handelsgesellschaften vor (§ 3 Abs. 2c ARB 2005/2008/2009).
2. Besteht ein langjähriges Rechtsschutzversicherungsverhältnis und stellt der Versicherungsnehmer im Laufe der Jahre lediglich "Veränderungsanträge", die allein andere Bereiche des Deckungsschutzes betreffen haben, ist nicht anzunehmen, dass sein Versicherungsschutz auch hinsichtlich identischer Leistungsarten jeweils zum Zeitpunkt der Veränderungsvereinbarung einen neuen "Beginn" genommen hat.
3. Es bestehen durchgreifende Bedenken gegen die Wirksamkeit einer Klausel, wonach der Versicherungsnehmer "alles zu vermeiden (hat), was eine unnötige Erhöhung der Kosten ... verursachen könnte" (§ 15 Abs. 1d cc ARB 75; § 17 Abs. 5c cc ARB 2005/2008/2009).
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 17.12.2010; Aktenzeichen 17 O 263/10) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 17.12.2010 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des LG Essen abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Deckungsschutz für die außergerichtliche Korrespondenz sowie für das beabsichtigte Klageverfahren erster Instanz gerichtet in der Hauptsache auf Zahlung von 74.546,36 EUR gemäß Klageentwurf vom 5.10.2010 vor dem LG Essen gegen die K Holding Anonim Sirketi zu erteilen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Der Kläger verlangt von dem beklagten Rechtsschutzversicherer Deckungsschutz für die außergerichtliche Korrespondenz sowie für ein beabsichtigtes erstinstanzliches Klageverfahren im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung vor dem LG Essen.
Der Kläger unterhält - nach der Feststellung des LG: unter der Geltung der ARB 2000 - bei der Beklagten eine Privat- Berufs- und Verkehrsrechtsschutzversicherung. Er erwarb im Januar 1999 nicht börsennotierte Aktien der in Konya/Türkei ansässigen "K Holding Anonim Sirketi", einem Industrie- und Handelskonglomerat, für einen Betrag von 145.800 DM (entspricht 74.546,36 EUR). Er macht geltend, dass der sich als Mitarbeiter der K ausgebende Muzaffer Celik ihm versprochen habe, dass er seine Einlage jederzeit zurückverlangen könne, jedenfalls innerhalb einer Frist von 3 Monaten. Tatsächlich sei eine Rücknahme der Aktien nur mit Zustimmung des Vorstands möglich, wobei das türkische Gesellschafts- und Handelsrecht eine Rücknahmeverpflichtung verbiete. Der Kläger beabsichtigt deshalb eine Klage im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung vor einem deutschen Gericht, weil dabei - anders als im türkischen Deliktsrecht - das vertragsrechtliche Rücknahmeverbot nicht auf das Deliktsrecht zurückschlage.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 2.6.2010 Rechtsschutz für eine Klage in der Türkei bestätigt, jedoch Kostenschutz für ein Klageverfahren in Deutschland verweigert. Dazu hat sie ausgeführt, dass ein auf Einlagenrückgewähr gestütztes Urteil in der Türkei nicht anerkannt werde, weil es materiell dem türkischen Recht nicht entspreche. Deshalb könne eine Klage auf der Grundlage der unerlaubten Handlung auch unmittelbar in der Türkei erhoben werden. Ein Klageverfahren führe deshalb zu einer unnötigen Kostenerhöhung.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und wegen der gestellten Anträge wird auf das Urteil des LG Bezug genommen.
Das LG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die beabsichtigte Rechtsverfolgung sowohl in Deutschland als auch in der Türkei sei vom Leistungsumfang ausgenommen. Nach § 3 Abs. 2 lit. f) ARB bestehe kein Rechtsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen, die in ursächlichem Zusammenhang mit dem Ankauf, der Veräußerung, der Verwahrung von Wertpapieren oder Beteiligungen stünden, was hier der Fall sei. Bei der erfolgten islamkonformen Vermögensanlage handele es sich um ein Spekulationsgeschäft, weil es von hohem Risiko gewesen sei, weil die Aktien nicht börsennotiert und damit nicht frei handelbar gewesen seien und sich der Kläger nicht über die Bonität und Seriosität des Unternehmens informiert habe. Deshalb habe nicht nur ein Gewinnertrag, sondern auch ein Totalverlust im Raum gestanden. Welche Variante letztlich zum Tragen kommen würde, sei mehr als weniger dem Zufall oder dem Geschäftsinteresse bzw. dem Geschäftsgeschick der Unternehmensleitung überlassen gewesen.
Ob ein versichertes Risiko vorliege, sei objektive Tatbestandsvoraussetzung und nicht davon abhängig, ob sich die Beklagte darauf berufe. Deshalb sei das erstmals im Prozess erfolgte Berufen auf den Leistungsausschluss nicht als treuwidrig zu bewerten.
Rechtsschutz für ein Klageverfahren vor einem deutschen Gericht im Gerichtsstand de...