Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsanteile bei Zusammenstoß von Brieftaube und Flugzeug
Leitsatz (amtlich)
Stößt eine Taube mit einem Flugzeug zusammen, so verwirklicht sich eine spezifische Tiergefahr, weil das Tier durch sein artgerechtes Flugverhalten ein Hindernis für das Flugzeug darstellt.
Haftungsteilung bei Schäden aus dem Zusammenstoß von Flugzeug und Brieftaube.
Verfahrensgang
LG Paderborn (Urteil vom 10.09.2003; Aktenzeichen 4 O 140/03) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten sowie die Anschlussberufung der Klägerin gegen das am 10.9.2003 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Paderborn werden zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer der Klägerin und der Beklagten übersteigt nicht 20.000 Euro.
Gründe
Weder die Berufung des Beklagten noch die Anschlussberufung der Klägerin haben Erfolg.
Ein Anspruch der Klägerin aus § 833 S. 1 BGB ist allein in dem vom LG ausgeurteiltem Umfang gegen den Beklagten gegeben.
Das - unstr. Bl. 95 vgl. auch Eintragungsschein Bl. 62 - im Eigentum der Klägerin stehende Flugzeug ist durch die Taube des Beklagten beschädigt worden. Eine Verschuldenshaftung des Beklagten kommt, wie das LG zu Recht ausgeführt hat und von der Klägerin in der Berufungsinstanz nicht in Zweifel gezogen wird, nicht in Betracht.
Durch ein Tier ist der Schaden zugefügt worden, da sich die spezifische Tiergefahr der Taube in der Beschädigung des Flugzeugs verwirklicht hat. Der Beklagte behauptet, es fehle an der Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens, weil sich die Brieftaube unstr. auf einem üblichen Überlandflug eines Brieftaubenvereins befunden habe, dem er angehöre. In der Tat stellt sich die Frage, ob man von unberechenbarem tierischen Verhalten sprechen kann, wenn eine Brieftaube ihrer natürlichen Wesensart entsprechend fliegt. Nach neuerer Auffassung verwirklicht sich die spezifische Tiergefahr allerdings auch dann, wenn ein Tier ein Verkehrshindernis bildet, unabhängig davon, ob das Tier gerade auf die Fahrbahn gelaufen ist oder dort bereits ruhig stand oder lag, als der Unfall passierte (Wagner in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 833 Rz. 14 m.w.N.; Wussow/Terbille, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., Kapitel 11 Rz. 18). Die Taube geriet bei ihrem Flug in den Landeanflug des Flugzeuges und stellte sich als solches Hindernis dar. Dabei dürfte es keine Rolle spielen, ob die Taube unmittelbar in den Lufteinlass der Turbine des Flugzeugs flog oder derart in die Nähe der Maschine geriet, dass sie von der Turbine angesaugt wurde. Auch in diesem Fall ist der Flug der Taube adäquat kausal für den Zusammenprall und bildet die Taube ein Verkehrshindernis auf Grund ihres tierischen Verhaltens.
Der Beklagte ist Tierhalter der Taube, da er die Bestimmungsmacht über das Tier hat, das als Brieftaube regelmäßig in seinen Schlag zurückkehrte.
Nach § 833 S. 2 BGB ist die somit entstandene Ersatzpflicht nicht ausgeschlossen: selbst wenn man die Taube als Haustier betrachtet, dient sie doch nicht dem Beruf oder Unterhalt oder der Erwerbstätigkeit des Beklagten.
Bezüglich der vom LG angenommenen Verantwortungsteilung zwischen Tiergefahr und Betriebsgefahr des Flugzeugs ist ein Rechtsfehler nicht zu erkennen. Für durch das Flugzeug verursachte Schäden haftet die Halterin gem. § 33 LuftVG; für das Tier ergibt sich eine Haftung des Beklagten aus § 833 S. 1 BGB.
Die Abwägung der beiderseitigen Verantwortlichkeit für den Schaden steht dem Tatrichter zu; das Berufungsgericht kann nach neuem Recht nur nachprüfen, ob alle Unterlagen berücksichtigt wurden und ob die Abwägung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 546 Rz. 12; Baumbach/Albers, ZPO, 62. Aufl., § 546 Rz. 7).
Das ist nicht der Fall. Die Bewertung des LG lässt Rechtsfehler nicht erkennen: sie ist weder widersprüchlich noch läuft sie Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen zuwider, zu Recht sieht das LG keine gefahrerhöhenden Umstände im Risikobereich einer Partei.
Es stehen sich die Betriebsgefahren, die durch das Tier und das Flugzeug in den Luftverkehr gebracht worden sind, gleichwertig gegenüber.
Nach dem hier allein in Betracht kommenden Maßstab der beiderseitigen Verursachung haben beide in gleichem Maße den schädigenden Erfolg bedingt. Die Taube setzte mit der Beschädigung vom Lufteinlass die Funktionstauglichkeit des Flugzeugs außer Kraft; das Flugzeug zerstörte seinerseits die Taube. Dass es weitaus größer, schwerer und schneller als die Taube ist, erhöht im Vergleich zur Taube nicht sein Gefährdungspotential. Denn die deutlich geringere Geschwindigkeit und Masse der Taube verkleinerte nicht die für Flugzeuge von ihr ausgehende Kollisions- und Beschädigungsgefahr; gerade die kleinere Masse der Taube macht ihr Eindringen in die lufteinziehende Turbine wahrscheinlich und kann eine Turbine irreparabel beschädigen, so dass bei Vorhandensein nur einer Turbine ein Absturz des Flugzeugs und der Tod der Insassen möglich ist....